: „Dieses Flaggezeigen ist mir suspekt“
Es gibt in Deutschland keinen neuen und unbeschwerten Patriotismus, findet der Schlagzeuger Gunnar Spies. Der Mastermind der Berliner Band MIA. würde sich im Fußball-Stadion auch nie in die deutsche Kurve stellen
taz: Herr Spies, vor zwei Jahren löste Ihre Band MIA. mit dem Song „Was es ist“ eine Debatte um deutschen Pop-Nationalismus aus. Fühlen Sie sich von den Manifestationen eines unbeschwerten Patriotismus während der Fußball-WM nun im Nachhinein bestätigt?
Gunnar Spies: Überhaupt nicht – und ich glaube, ich kann da auch für den Rest der Band sprechen. Der Fußball bringt zwar weltweit Menschen zusammen. Aber es stört mich auch, dass sich die Fans der einzelnen Länder voneinander abgrenzen. Da will ich mich nicht einreihen.
Sind Sie Fußball-Fan?
Ja, ich habe die Vorrunde der WM fast komplett gesehen. Und im Stadion war ich in Leipzig bei Mexiko gegen Argentinien.
Fanden Sie den neuen deutschen Fußballpatriotismus also gar nicht so entspannt, wie er allgemein gefeiert wurde?
Nee, mir war das viel zu aufgeregt und angespannt. Wenn dann alle so furchtbar locker mit ihrem Deutschsein sind und hier alles so unheimlich funky ist, dann kann man auch gleich den nächsten Schritt machen und gemeinsam feststellen, dass man das alles gar nicht braucht.
Diese ganze Flaggensache, die fand ich schon immer komisch. Ich bin in der DDR groß geworden und habe ein ganz eindeutiges Verhältnis zu Flaggen: Die Leute, die am 1. Mai oder am 7. Oktober die Flagge rausgehängt haben, die waren die eifrigen Idioten. So wahnsinnig viel hat sich da anscheinend nicht geändert. Ich kann es zwar lustig finden, im mexikanischen Block zu sitzen und mir Sprüche über den argentinischen Torwart anzuhören. In so einem Kontext ist es auch für mich einfach, mich wohlzufühlen. Aber ich würde mich nie im Olympiastadion in die deutsche Kurve stellen.
Aber die Patriotismusdebatte während der Fußball-WM hat Sie schon an die Debatte um Ihre Band erinnert, oder?
Natürlich. Aber vergleichen kann man das nicht. Letztlich haben wir damals hinterfragt, ob es nötig oder überhaupt möglich ist, sich anders als negativ auf Deutschland zu beziehen. Das war unser Ausgangspunkt. Das wurde illustriert mit einem Videoclip, in dem unsere Sängerin Mieze ein gelbes Kleid anhatte und jemand anders von uns was Rotes und jemand anderes was Schwarzes. Aber wenn man so etwas macht, kann man offensichtlich viel falsch machen: Denn die Rechten haben uns vereinnahmt, nachdem wir vom linken Feuilleton fertig gemacht wurden.
Ich kann insofern eine Parallele erkennen, als sich zur WM wieder alle Feuilletons im Bauchnabel pulten und sich fragten: Was machen wir jetzt damit? Das hat mich teils amüsiert, teils – bei der Bild-Zeitung – nicht.
Aber grundsätzlich finde ich die Diskussion okay, weil es darüber Aufschluss gibt, dass hier einiges noch nicht aufgearbeitet ist. Aber während der WM hatte ich eher den Eindruck, die Leute machen alle Urlaub, die laufen im Kopf alle auf Notstromaggregat. Die große Koalition hat in der Zeit doch alle möglichen unangenehmen Gesetze durchgehauen.
War die Diskussion vor zwei Jahren denn reflektierter?
Nein, auch von unserer Seite nicht. Aber viele hatten damals auch gar kein Interesse daran, die Meinung der Band zu dem Thema einzuholen, weil es viel einfacher war, uns per se Nationalismus zu unterstellen und draufzuhauen. Es ging nur um die spektakulären Begriffe, und das ist mir auf den Sack gegangen. Andererseits fand ich den Reflex durchaus beruhigend. Er hat mir gezeigt, dass es Menschen gab, die denselben Diskussionsbedarf hatten, ohne gleich die Deutschlandfahne aus dem Fenster zu hängen.
Hat Ihnen dieser Reflex während der WM gefehlt?
Nein, weil ich in meinem Umfeld genug Leute hatte, die eine ähnliche Befangenheit und sogar Verspanntheit gespürt haben wie ich. Auch die überwältigende Mehrheit meiner Freunde glaubt nicht, wir hätten Nachholbedarf, was das Fahnenschwenken angeht. Und die, die die Fahnen geschwenkt haben, wollten sich auch eher mit dieser Fußballmannschaft identifiziert, und nicht unbedingt eine neue Selbstverständlichkeit im Deutschfühlen repräsentieren.
Viele haben sich auch einfach nur gefreut, dass die Mannschaft gut gespielt hat. Aber dass sich so viele Historiker, Soziologen und Journalisten von diesem Phänomen plötzlich so überrascht zeigten, dass die das vorher nicht auf dem Schirm hatten, das fand ich lustig.
Ist das eine späte Genugtuung für Sie?
Nein, ich kann mich darüber nicht hämisch freuen. Ich finde jede Debatte zu diesem Thema sinnvoll. Keine Ahnung, wo das hinführt, aber ich bin da auch selber noch nicht fertig, wie ich mit meiner eigenen Neurose umgehen soll.
Könnten Sie sich vorstellen, sich eine Deutschlandfahne ans Auto zu klemmen?
Mit Sicherheit nicht.
INTERVIEW: THOMAS WINKLER