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VON TARIK AHMIA
Georg L. ist genervt. Er will dringend zur Arbeit, aber sein Wagen springt nicht an. Den Grund verrät der Bordcomputer: „Mautgebühren für Juli nicht bezahlt. Zündung gesperrt“, steht auf dem kleinen Monitor. Umgehend überweist er das Geld elektronisch von seinem Handy aus. Jetzt kann es losgehen.
Doch die Fahrt dauert nicht lange. Auf der Autobahn winkt ihn eine Polizeistreife heraus. „Sie sind zu schnell gefahren. Laut Mautbrücke waren Sie mit 150 Stundenkilometern unterwegs. Erlaubt sind aber nur 120.“ Das gibt einen Punkt in Flensburg und eine Geldstrafe.
Als L. verspätet bei seiner Arbeitsstelle ankommt, erwartet ihn sein Chef mit der nächsten schlechten Botschaft: Die Polizei ermittele wegen des Verdachts auf Betriebsspionage. Die Auswertung der Mautdaten von Herrn L. habe gezeigt, dass L. in letzter Zeit den schärfsten Konkurrenten seines Arbeitgebers öfters besucht habe. „Erklären Sie doch bitte mal, was Sie da gemacht haben …?“
Alles nur Science-Fiction? Keineswegs, wenn es nach Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) geht. Sein Ministerium arbeitet daran, das Autobahnmautsystem nicht nur für die Abrechnung der Autobahnnutzung, sondern zur generellen Beobachtung der Bevölkerung einzusetzen. Das ist bisher im Autobahnmautgesetz ausdrücklich verboten. Es schreibt mit einer strikten Zweckbindung vor, dass Mautdaten nur für Abrechnungszwecke verwendet und nicht anderen Behörden wie zum Beispiel der Polizei zugänglich gemacht werden. „Eine Übermittlung, Nutzung oder Beschlagnahme dieser Daten nach anderen Rechtsvorschriften ist unzulässig“, heißt es im § 7 des Autobahnmautgesetzes.
Der neue Gesetzentwurf soll dies ändern. „Die Vorlage wird derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt“, bestätigte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums gegenüber der taz. Der Entwurf enthalte „recht konkret“ gesetzliche Änderungen, die den Ermittlungsbehörden den Zugriff auf die Daten der Autobahnmaut gestatten. Er solle noch in diesem Jahr in den Bundestag eingebracht werden.
Datenschützer sehen damit ihre Befürchtungen bestätigt, dass das Autobahnmautsystem in ein flächendeckendes Fahndungswerkzeug der Sicherheitsdienste umgebaut wird. „Aus Sicht des Datenschutzes ist das Vorhaben katastrophal“, sagt Sönke Hilbrans, Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz.
Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar sieht in dem Vorgehen einen Vertrauensbruch. „Das System wurde nur akzeptiert, weil gesetzlich festgelegt wurde, die Mautdaten ausschließlich zum Zweck der Mautentrichtung zu nutzen“, sagt Schaar.
„Es ist immer wieder das gleiche Spiel“, kritisiert Hilbrans den Ausbau des Überwachungsapparates. Erst werde eine technische Infrastruktur mit dem Versprechen der restriktiven Nutzung eingeführt, um dann die Restriktionen Stück für Stück fallen zu lassen. So wie die Telefonüberwachung zunächst nur bei schweren Straftaten zulässig war, könnte auch die permanente elektronische Beobachtung der Autofahrer zum Alltagswerkzeug für Ermittler werden. Datenschützer haben schon seit Jahren kritisiert, das deutsche Mautsystem sei technisch überdimensioniert, um lediglich Gebühren zu erfassen. Mit der geplanten Gesetzesänderung komme es nun seiner wahren Bestimmung entgegen: der permanenten Fahndung.
Die Diskussion um die Aufweichung des Autobahnmautgesetzes schwelt schon seit dem vergangenen Jahr. Ende November 2005 hatte Innenminister Schäuble angekündigt, das Autobahnmautgesetz zu überprüfen. Schäuble hatte sich darüber beschwert, dass die Mautdaten nach der Tötung eines Parkwächters durch einen flüchtigen Lkw von der Polizei nicht ausgewertet werden durften. Ein weiterer Mord Anfang Juli in Kassel gab Schäubles Forderung neuen Nährstoff. „Wir haben kein einziges Datensystem, das so zugemauert ist wie das Mautsystem“, sagte SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz erst letzte Woche und bezeichnete das Autobahnmautgesetz als „schweren Fehler des Gesetzgebers“.
Als ebenso brüchig wie die Versprechen zum Datenschutz erweisen sich nun auch die anderen Beteuerungen. Der Mautbetreiber Toll Collect betont bis heute, das Autobahnmautsystem lasse sich aus technischen Gründen nicht für Fahndungszwecke einsetzen. Doch diese Behauptung war von Anfang an falsch.
Tatsächlich erfasst und speichert Toll Collect die Bewegungsdaten von Lkws zentral. Mit Hilfe dieser Mautdaten könnten auch noch nach Jahren Autobahnfahrten nachvollzogen werden – was noch ausdrücklich verboten ist. Die Daten müssen aber schon aus Gründen der Buchhaltung aufbewahrt werden. „Alle Mautdaten inklusive der Kennzeichen werden beim Bundesamt für Güterverkehr für mindestens drei Jahre gespeichert“, bestätigt ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums.
Die Technologie zur vollständigen Verkehrsüberwachung wurde schon bei der Konstruktion des deutschen Mautsystem berücksichtigt, so Brachenkenner. Es lässt sich deshalb nun mit überschaubarem Aufwand zu einem Fahndungssystem erweitern. „Die Umstellung des Systems auf eine komplette Überwachung würde etwa sechs Monate dauern“, sagt ein Technik-Insider von Toll Collect.
Offiziell will Toll Collect davon aber nichts wissen. „Unser Mautsystem ist ein Zahlungssystem und kein Ortungssystem“, betont Reinhard Fraenkel. Er ist Datenschutzbeauftragter beim Mautbetreiber Toll Collect. „Wir können heute nicht auf Knopfdruck sagen, wo sich ein Lkw befindet“, sagt Fraenkel. Allerdings ist Toll Collect schon heute bei der Ortung von gestohlenen Lkws behilflich. Diebstahlopfern teilt der Betreiber des Mautsystems auf Anfrage die aktuellen Streckendaten des gestohlenen Lkws mit.
Um Mautpreller aufzuspüren, sind rund um die Uhr etwa 280 mobile Kontrollteams unterwegs. Sie überprüfen elektronisch im fließenden Verkehr, ob Lkw-Fahrer die Straßengebühren bezahlt haben. Das technologische Herzstück der Autobahnüberwachung sind jedoch 300 fest installierte Kontrollbrücken. Auch sie dienen offiziell nur dazu, Mautpreller zu erkennen. Tatsächlich können sie weit mehr.
Die technisch ausgetüftelten Kontrollpunkte analysieren vollautomatisch den gesamten Autobahnverkehr. Die Mautbrücken sind wahre Datenstaubsauger, vor denen kein Fahrzeug unbemerkt bleibt. Jedes Fahrzeug – egal ob Pkw oder Lkw – wird bei der Durchfahrt zweimal fotografiert und per Laser vermessen. Mit Hilfe einer Bildanalyse pickt sich der Computer nur die mautpflichtigen Lkws ab 12 Tonnen Gesamtgewicht heraus und erkennt blitzschnell deren Nummernschilder. 50 bis 100 Kennzeichen kann so eine Brücke pro Sekunde erfassen. Jede Durchfahrt eines Lkw melden die Mautbrücken mit fahrzeug- und streckenbezogenen Daten online in die Toll-Collect-Zentrale in Berlin. So entsteht schon heute ein lückenloser Datenbestand, in dem die Fahrten aller Lkws über 12 Tonnen auf deutschen Autobahnen mit Angaben zu Kennzeichen, Tag, Ort und Zeitpunkt gespeichert sind.
Alle anderen Fahrzeuge werden ignoriert, weil sie (noch) nicht mautpflichtig sind. Allerdings wird die Pkw-Maut auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Bayern will sie 2008 einführen, andere Bundesländer werden wohl folgen.
Immer wieder geäußerte Beschwichtigungen, die Mautbrücken seien nur teilweise in Betrieb und würden den Verkehr nur stichprobenartig überwachen, werden sogar von Toll Collect dementiert: „Alle Mautbrücken sind scharf gestellt“, so Reinhard Fraenkel zur taz.
„Sicherheitsdienste lecken sich nach solchen Daten die Finger“, sagt Sönke Hilbrans. Es gibt jedoch schon Zweifel, ob die Daten der Verbrechensbekämpfung überhaupt dienlich wären. „Die Profis erwischen wir damit nicht“, sagt Hartmut Pohl, Direktor des Kölner Institutes für Informationssicherheit (ISIS). Es sei bekannt, dass Schwerkriminelle sich mit verschlüsselter Kommunikation und falschen Nummernschildern der staatlichen Überwachung entzögen. „Am Ende steht nur die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht“, so Pohl.
Die Fahndung mit dem Mautsystem fügt sich in eine umfassende Überwachungsstrategie ein, die die Bundesregierung derzeit vorantreibt. Nach der Sommerpause soll ein weiterer Gesetzentwurf vom Kabinett beschlossen werden, der gestattet, alle Erkenntnisse von Polizei, Verfassungsschutz, Geheimdiensten und Zoll in einer einzigen Datei zusammenzufassen. Schon Mitte Juli hatte die Bundesregierung in einem Anti-Terror-Gesetz die Lauschrechte der Geheimdienste so erweitert, dass für sie Datenschutzgesetze in der Praxis keine Rolle mehr spielen.
Einzelne Bundesländer sind ihrem Ziel einer permanenten, automatisierten Fahndung bereits auf eigene Faust ein gutes Stück näher gekommen. Im Lauf der letzten Monate haben die Länder Hessen, Bayern und Schleswig-Holstein die gesetzliche Grundlage dafür geschaffen und ihre Landespolizeigesetze geändert. „Dort ist es schon jetzt zulässig, dass Kennzeichen automatisch gescannt und mit Fahndungsdateien abgeglichen werden“, sagt Schleswig Holsteins oberster Datenschützer Thilo Weichert. Anders als beim Autobahnmautsystem werden die Daten dort nicht langfristig gespeichert. Dennoch sehen Datenschützer darin einen Rechtsbruch: „Es ist und bleibt unzulässig, das Verhalten der Bürger ohne Anlass zu erfassen“, sagt Datenschützer Hilbrans. Prinzipiell könnte auch die Toll-Collect-Infrastruktur dafür genutzt werden, die gescannten Kennzeichen mit Fahndungslisten abzugleichen und bei Bedarf Alarm zu schlagen.
Sollte die Bundesregierung das Autobahnmautgesetz so ändern, wie es sich nun abzeichnet, wird die wahre Diskussion darum wohl jetzt erst richtig losgehen. „Datenschützer werden ihren Bedenken auch vor den Verfassungsgerichten erfolgreich Gehör verschaffen, wenn Toll-Collect-Daten für andere Zwecke als bisher genutzt werden“, prophezeit Sönke Hilbrans.