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Archiv-Artikel

Vorsprung mit deutscher Technik

VON OTFRIED NASSAUER

Günther Hillinger* hatte ein Problem. Der altgediente Ingenieur des AEG-Werks in Wedel hatte es schlicht am schwarzen Brett gefunden. Per Hausmitteilung wurden er und seine Kollegen angewiesen: „Betrifft: LTDS-Hardware / Fertigungsunterlagen: Auf allen Einzelteilen (…) darf kein „AEG“ Zeichen vorhanden sein. Falls für die Prototypen bereits Hardware mit AEG-Zeichen vorhanden ist, so ist dieses Zeichen vor der Auslieferung der Geräte zu entfernen.“ Das war 1986.

Das LTDS ist ein Prunkstück deutscher Ingenieurskunst und verantwortlich dafür, dass der Kampfpanzer „Leopard 2“ besser trifft als alle Konkurrenten. Selbst bei voller Fahrt und im holprigen Gelände sorgt es dafür, dass die Kanone genau auf das angepeilte Ziel gerichtet bleibt. Es stabilisiert den Panzerturm und führt ihn präzise nach. Der „Leopard 2“ kann also schießen und treffen, wo manch anderer Panzer nur noch Luftlöcher produziert.

Empfänger war Israel

Die Prototypen und die Fertigungsunterlagen lagen zur Ablieferung bereit. Das Problem war der Empfänger: Der saß in Israel und arbeitete an einem neuen Kampfpanzer „Merkava 3“. Mittels der Prototypen und der Fertigungsunterlagen, so wusste Hillinger, wäre es den Israelis möglich, das LTDS nachzubauen und für den „Merkava“ anzupassen.

Sollte man Israel mit einer so heiklen Lieferung modernster Rüstungstechnik helfen? War die Lieferung überhaupt legal, genehmigt? Warum sollten alle AEG-Logos entfernt werden? Sollte die Herkunft verschleiert werden?

Nur vier Jahre zuvor hatte eben dieses Israel unter militärischer Führung von Verteidigungsminister Ariel Scharon einen blutigen Feldzug in den Libanon unternommen, um die PLO auszuschalten und eine wohlgesonnene Regierung zu installieren. Noch immer hielt Israel die südlichen Landesteile besetzt, und noch immer kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Jetzt zumeist mit der schiitischen Hisbollah-Miliz, die sich im besetzten Süden gegen die Besatzung gebildet hatte.

Günther Hillinger plagte das Gewissen. Doch noch bevor er einen ungefährlichen Weg in die Öffentlichkeit fand wurden die Geräte abgeholt.

Heute, zwanzig Jahre später, finden sich das LTDS und seine Weiterentwicklungen unter dem Namen Geadrive in den „Merkava 3“- und „Merkava 4“-Panzer der israelischen Armee. Diese kommen erneut im Libanon zum Einsatz. Israel aber sagt, es sei eine Eigenentwicklung, in Israel hergestellt.

Eine ungewöhnliche Geschichte? Für die deutsch-israelische Rüstungskooperation eher eine symptomatische. Auch die Technologie der 120-Millimeter-Glattrohrkanone des „Leopard 2“ fand auf verschlungenen Pfaden ihren Weg nach Israel. Ob direkt aus den Werkstätten des Herstellers, Rheinmetall, oder über die amerikanische Lizenzproduktion, ist unbekannt. Auch hier spricht Israel von einer Eigenentwicklung. Ebenso wie bei der Panzerung, bei der es eine Kooperation mit dem deutschen Ingenieurbüro IDB-Deisenroth gibt.

Offener wird über andere deutsche Komponenten in den „Merkavas“ geredet. Die Panzergetriebe werden von der Augsburger Renk AG geliefert. Die Motoren wurden von MTU entwickelt und bei einem amerikanischen Lizenznehmer aus den Einzelteilen zusammengebaut. Von dort werden sie nach Israel versandt. Das ist vorteilhaft für Jerusalem. Denn für Lieferungen amerikanischer Generalunternehmer kann das devisenknappe Israel mit US-amerikanische Militärhilfe zahlen.

„Was schwimmt, geht“ – so lautet ein Diktum, das Hans-Dietrich Genscher, dem langjährigen Außenminister der Bundesrepublik zugeschrieben wird. Es gilt auch für Israel. Die „Saar 5 Korvette“, die während der Seeblockade vor der libanesischen Küste von einem Seezielflugkörper der Hisbollah getroffen wurde, hatte eine Motor von MTU. Motoren derselben Firma stecken auch in den israelischen Schnellbooten und Korvetten der Klassen „Saar 4.5“, „Super Dvora Mk2“ und „Shaldag“.

Deutsche U-Boote in Israel

Die israelische Marine nutzt seit Jahrzehnten U-Boote, die in Deutschland entwickelt wurden. Zunächst drei Boote der GAL-Klasse, die heimlich in England nach deutschen Plänen und mit Hilfe deutscher Ingenieure hergestellt wurden. Heute sind es drei U-Boote der „Dolphin“-Klasse. Sie wurden in den 80er-Jahren beim Ingenieurkontor Lübeck, der Kieler Werft HDW und Atlas Elektronik in Bremen nach israelischen Wünschen entwickelt. Gebaut wurden sie in Kiel und Emden von HDW und den Thyssen Nordseewerken. Die Auslieferung erfolgte von 1998 bis 2000. In Israel wurden sie noch einmal umgerüstet. Da Israel sich die Boote nicht leisten konnte, wurden sie zu mehr als 80 Prozent aus dem deutschen Bundeshaushalt bezahlt.

Auch eine Hauptwaffe der Boote kommt aus Deutschland – schwere Seezieltorpedos der Firma Atlas Elektronik. Sie werden über die USA geliefert, damit US-Militärhilfe zur Finanzierung genutzt werden kann. Israel kann die U-Boote im Mittelmeer und in der Golfregion zur Aufklärung und zur traditionellen Seekriegsführung einsetzen. Sie können Kampfschwimmer zum Einsatz zu bringen, Seeminen verlegen und Flugkörper gegen See- und Landziele zu verschießen. Um ihre heikelste Mission aber rankt sich ein Geheimnis.

Die „Dolphin“-U-Boote besitzen eine Sonderausrüstung. Im Bug wurden Torpedorohre unterschiedlicher Größe eingebaut. Sechs normale Rohre des Kalibers 533 Millimeter, vier übergroße vom Kaliber 650 Millimeter. Mit den kleinen Rohren kann das U-Boot alle beschriebenen Aufgaben erfüllen. Wofür aber sind die großen Rohre?

Israel ist eine unerklärte Nuklearmacht. Es betrachtet die „Dolphin“-U-Boote als Teil seines strategischen Potenzials. Seit bekannt wurde, dass Israel 2000 vor Sri Lanka einen Flugkörper mit 1.000 bis 1.500 Kilometer Reichweite testete, gehen viele Beobachter davon aus, dass Israel einen Teil seiner Atomwaffen unverwundbar auf U-Booten stationieren will. Da die U-Boote mobil sind, können viel mehr und viel weiter entfernte Ziele abgedeckt werden. Aus deutscher Sicht wirft das die Frage auf, ob die Bundesrepublik mit dem „Dolphin“-Export Beihilfe zur Proliferation leistete, weil sie Jerusalem die Waffenplattform für nukleare Flugkörper lieferte.

Bei der Heidelberger Firma AIM-Infrarotmodule arbeiten Spezialisten. Sie bauen Infrarotmodule für die Aufklärung, Zielerfassung und -bekämpfung. 280 Mitarbeiter erwirtschafteten 47 Millionen Euro Umsatz (2004), 45 Prozent davon in den USA. Denn dort werden Heidelberger Module zu tausenden in Kampfflugzeugkomponenten wie den Zielerfassungsbehälter Lantirn oder in Hubschraubersysteme wie Tads eingebaut, dass im Kampfhubschrauber „AH-64 Apache“ zum Einsatz kommt. Mit Hilfe der Module können Flugzeug- und Hubschrauberwaffen sehr gezielt verschossen werden. Je häufiger Lenk-, Abstands- und Präzisionswaffen zum Einsatz kommen, umso wichtiger werden solche elektrooptische Komponenten. Sie erst machen es möglich, die teure Waffenplattform wirksam einzusetzen.

Das gilt auch für die fliegenden Waffensystem Israels. Diese kommen meist aus den USA. Israel hat viele Jagdbomber des Typs F-16 und „Apache“-Hubschrauber. Wenn diese Ziele im Libanon beschießen, sind auch die deutschen Infrarotmodule meist an Bord. Das Label „Made in Germany“ steht gerade, wenn es um Israel geht, oft nicht außen drauf, sondern innen auf wichtigen Komponenten.

Die deutsch-israelische Rüstungskooperation hat Zukunft. Dafür ist gesorgt, weil Deutschland sich der Existenzsicherung Israels verpflichtet weiß und selbst viele Rüstungsgüter aus Israel importiert. Auch künftig gilt, was Exkanzler Schröder 2002 festhielt: „Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht wird.“

An ihrem letzten Tag im Amt unterzeichnete die rot-grüne Bundesregierung 2005 einen Vertrag mit Israel, der die Lieferung von zwei weiteren „Dolphin“-U-Booten“ vorsieht. Ein Drittel der Kosten von bis zu einer Milliarde Euro trägt der deutsche Steuerzahler direkt; ein Drittel trägt er indirekt, wenn die Bundeswehr – wie geplant – Rüstungsgüter in Israel einkauft. Das letzte Drittel zahlt Israel.

Der Industrievertrag wurde am 6. Juli in Berlin unterzeichnet. Die U-Boote sollen das aktuelle Prunkstück deutscher Marinetechnik enthalten. Den außenluftunabhängigen Brennstoffzellenantrieb, mit dem die U-Boote viel länger tauchen und weiter fahren können als alle konventionellen U-Boote. Das kommt Israel entgegen. Die Schiffe eignen sich, um in der Arabischen See und im Indischen Ozean zu patrouillieren. Dort wähnt Israel die wichtigsten Gegner der Zukunft. Die islamische Atommacht Pakistan und den Iran mit seinem Atomprogramm.

Jetzt neu: der „Dingo“

Ein weiteres Projekt genehmigte der Bundessicherheitsrat in der letzten Juniwoche, so die Welt: Ein gepanzertes Kampffahrzeug vom Typ „Dingo 2“ soll Israel zu Testzwecken überlassen werden. 103 dieser Fahrzeuge möchte Israel schon länger kaufen. Sie eignen sich besonders gut für den Einsatz bei militanten Konflikten und zur Aufstandsbekämpfung. Vor einer Lieferung durch Rheinmetall hatte Berlin unter Rot-Grün noch zurückgeschreckt. Eine Fertigungslizenz wurde an die US-Firma Textron vergeben, die ebenfalls keine Exportgenehmigung erhielt.

Nun ist ein Präzedenzfall geschaffen. Wer die Lieferung eines Fahrzeug genehmigt, müsste begründen, warum die Genehmigung weiterer versagt wird. Das Fahrzeug soll unbewaffnet geliefert werden. Doch Israel hat bereits erklärt, dass es eine eigene, leistungsfähige Waffenanlage in den „Dingo“ einbauen will. Es bleibt abzuwarten, ob deutsche Firmen sich auf einen „Dingo“-Auftrag aus Israel freuen dürfen oder ob in wenigen Jahren ein „Dingo“ made in Israel auf den Markt kommt.

*Name von der Redaktion geändert