: „Integration ist politischer Müll“
Jochen Kühling
Eigentlich ist er studierter Betriebswirt und Unternehmensberater. Doch dann kam der in Cloppenburg geborene Jochen Kühling zur Musikszene. Heute ist der 42-Jährige Musikmanager und verkauft zusammen mit seinem Partner Ünal Yüksel mit den Labels Plakmusic und Ypsilon türkische Musik, vor allem Hiphop. Das gilt sowohl für Musik, die aus der Türkei importiert wird, als auch für solche, die in Berlin oder dem Rest der Republik produziert wird. Die jüngste Entdeckung fällt allerdings aus dem Rahmen: Muhabbet singt türkische Arabesk-Musik – auf Deutsch. Ein Gespräch über Neukölln und Kreuzberg, die Rütli-Schule, den Sound von Straßenkampf und Integration, über Gewaltverherrlichung und die türkische Melancholie
Interview FELIX LEE und ALKE WIERTH
taz: Herr Kühling, auf der Internetseite Ihres Labels wird der Name des Albums „Yaz bitmeden“ von Sezen Aksu mit „s“ geschrieben statt mit „z“.
Jochen Kühling: Ein übler Fehler. So etwas darf uns nicht passieren.
Passiert Ihnen nicht öfter, dass Sie sich die Namen Ihrer Künstler nicht merken können?
Anfänglich konnte ich mir türkische Namen tatsächlich nicht gut merken. Das waren für mich willkürliche Buchstabenkombinationen. Mittlerweile bin ich aber ganz gut. Am Wochenende bin ich das erste Mal mit den Bandmitgliedern unseres derzeitigen Stars Muhabbet unterwegs gewesen. Sie heißen Süleyman, Serkan, Bekir und Babek. Das muss man erst mal abspeichern.
Die Gesichter sehen für Sie auch nicht mehr alle gleich aus?
Türken und die anderen Orientalen kann ich inzwischen hervorragend unterscheiden.
Woher kommt Ihre Vorliebe für Migrantenrap?
Ende der 90er haben mein Partner Ünal Yüksel und ich uns zusammengetan. Wir wollten uns auf den Verkauf türkischer Musik hier konzentrieren – dass wir mal Musik machen werden mit Türken, die hier leben und auf Deutsch singen, haben wir nicht geahnt. Aber Ünal hatte die richtigen Kontakte, er kannte die Szene, in der diese Musik entstand. So hat sich das aufgebaut.
Was gefällt Ihnen persönlich an dieser Szene?
Mann, das ist so viel. Ich habe da auch schon oft drüber nachgedacht. Vorher hatte ich nie was mit Türken zu tun. Und bei mir zu Hause kapiert keiner, was ich mache. Die ganzen Leute, die ich von der Schule kenne, sind in der EDV-Branche oder Chemiker. Für mich war es vor allem ein persönliches Ding. Ich habe relativ früh gemerkt, dass man mit ein bisschen Abstand in der deutschen Kultur besser klarkommt. Ein paar Stilelemente aus Frankreich zum Beispiel erleichtern das Leben mit den Damen ungemein, und in Venezuela habe ich viel über Gelassenheit gelernt. Bei den Türken war von Anfang an klar: Es geht ungeheuer herzlich zu.
Wie drückt sich das aus?
Die Familie von meinem Partner zum Beispiel. Als ich den Vater kennen lernte, hat der mit so einem klaren Blick abgecheckt, ob ich der richtige Partner für seinen Sohn bin. Zugleich war das unheimlich respektvoll. Auf mich hat das von Anfang an einen sehr sympathischen Eindruck gemacht.
Sind Sie auch Hiphop-Fan?
Hiphop war anfangs nicht mein Ding. Ich habe Betriebswirtschaftslehre studiert und bin nach dem Studium in eine Unternehmensberatung eingestiegen. Da habe ich anderthalb Jahre gearbeitet und dann noch zwei Jahre selbstständig. Aber das war langweilig, und deshalb habe ich das Geld, das ich verdient habe, in eine englische Reggae-Punk-Band investiert. So hatte ich Grund, oft nach London zu fahren – ansonsten war die Band ein Geldgrab.
Sie sind also kein Hiphoper der ersten Stunde?
Ich komme eher aus der Indie-Rock-Szene. Trotzdem hat mich Hiphop fasziniert. Ausgesehen habe ich aber nie anders als jetzt. Baggy-Pants oder andere Hiphop-Klamotten sind mir suspekt. Und auch dieses ganze Theater, was die machen. Aber die Haltung von Hiphop gefiel mir schon damals. Das hatte für mich was von Straßenrevolution.
Woher kommt Ihre Affinität zu diesem Ghetto-Image?
Ich bin Cloppenburger. Wenn man da aufwächst, beginnt man mit 15 darüber nachzudenken, wie man wegkommt. Cloppenburg ist eine tief katholische, bäuerliche Stadt. Zugleich war die Stadt immer eine Art Drogenumschlagplatz. Das heißt: Es gab Drogen, die entsprechenden Leute und Diskos. Da lernte ich, dagegen zu sein.
Wie kamen Sie nach Berlin?
Eher durch Zwang. Mit meinem damaligen Geschäftspartner in Hamburg lag ich im Clinch. Ein dickes Bankkonto hatte ich auch nicht mehr. Ich stand vor der Entscheidung, zurück in die Unternehmensberatung zu gehen oder voll ins Musikgeschäft einzusteigen. Ich entschied mich für die Musik. Ünal kannte ich da bereits.
Er war schon im Geschäft?
Im türkischen Geschäft war er richtig dick. Hier in Deutschland hatte er eine kleine intelligente Produktionseinheit. Als ich mit Ünal anfing, saßen wir im Hinterzimmer des Lottoladens seines Vaters in der Wrangelstraße. Ich habe die Buchhaltung gemacht und versucht, die Musik zu verkaufen, und Ünal produzierte. Er war einer der Ersten, der orientalische Elemente in den Hiphop einfließen ließ. Das hat mir gefallen.
Heute arbeiten Sie mit harten Rappern wie Kalusha, haben auch mit Killa Hakan eine Platte gemacht. Jetzt haben Sie Muhabbet unter Vertrag, dessen deutschsprachige Variante türkischer Arabesk-Musik viele schnulzig finden. Wie passt das zusammen?
Tatsächlich haben mir manche Berater gesagt: Du kannst doch mit diesem Gangsterrapper-Image nicht seichten Pop machen. Ich finde, es geht. Außergewöhnlich waren wir ja von Anfang an. Wer behauptet, türkische Musik könnte in die deutschen Charts kommen, den erklären sowieso alle für verrückt.
Bedeutet Muhabbet eigentlich so eine Art Generationswechsel: Kommt statt des harten Hiphop-Straßenkämpfers nun der Kuschel-Migrant?
Muhabbet könnte auch Hiphop machen, er kommt auch aus dieser Kultur. Letztendlich macht Muhabbet nichts anderes. Er lässt Gefühlen freien Lauf. Dieser türkischen Melancholie. Den Türken ist es ein Hauptbedürfnis, melancholisch zu sein. Das ist eine Gefühlswelt, die ihnen wichtig ist. In türkischen Liedern wird viel und dramatisch geliebt, gerne bis in den Tod.
Hat Muhabbet das gleiche Publikum wie Killa Hakan?
Er wird mehr von Teenies gehört, aber nicht nur. Er ist einfach authentisch, er verkörpert genau die Identität, die die Kids haben. Sie haben von zu Hause das Türkische oder das Arabische mitbekommen, der Rest des Lebens ist Deutsch. Er bringt das mit seinen Liedern auf den Punkt. Ich glaube, es wird noch viele Künstler wie Muhabbet geben. Es gibt so viele Fans, die genau darauf gewartet haben.
Sie verdienen im Grunde an der komplizierten Lebenssituation dieser Jugendlichen.
Wenn es mir um Profit gehen würde, wäre ich Unternehmensberater geblieben. Dann würde ich mehr verdienen. Mich interessieren die Kids, denn ich kenne ihre Welt nicht. Ich bin Landei und hier tischen mir Leute Lebensgeschichten auf, wo ich denke: wow! Mein größtes Abenteuer war der Fußball auf dem Acker. Die Kids hier haben mit 12 oder 13 Sachen erlebt, von denen ich mit 25 noch nichts wusste.
Zum Beispiel?
Sie wachsen mit Kriminalität auf, mit Rassismus: Araber gegen Türken, Türken gegen Schwarze, Deutsche gegen alle. Wie die sich durchs Leben schlagen, finde ich unglaublich spannend und oft auch bewegend. Sie fühlen sich ja hier nicht fremd oder als Ausländer. Und trotzdem müssen sie sich mit viel Mühe durch den Alltag schlagen.
Ist Hiphop nicht etwas, das Gewalt und Kriminalität konserviert?
Sicher. Aber das ist ihre Realität. Unsere Prämisse ist: Wer bei uns was machen will, darf in seinen Texten nicht das Wort „man“ verwenden. Entweder redest du über dich oder du erzählst eine Geschichte. Alles dazwischen interessiert hier nicht. Sag, was du zu sagen hast und was du weißt.
Dann dürfen sie in ihren Texten auch sagen, was sie wollen?
Wir können sie ja nicht stoppen, ich kann mich nicht dazusetzen und aufpassen, dass sie das Richtige sagen. Die würden mich auslachen.
Ist es auch ein bisschen Sozialarbeit, was Sie machen?
Zwangsweise. Die Kids, die zu uns kommen, haben oft Probleme, die sie alleine nicht regeln könne. Dann muss ich manchmal Anwaltsschreiben lesen und auch beantworten.
Ihr Label sitzt in Nordneukölln, weil Ihre Szene hier zu Hause ist, weil Sie hier auch nach Talenten suchen. Von denen schaffen es aber nur die wenigsten.
Das ist doch überall so. Ich sehe es als Chance. Wenn einer ein Talent hat, dann soll man das fördern. Es ist ein großer Kampf, sich im Musikgeschäft durchzusetzen. Da wollen ja alle hin. Das ist für sie der große Traum. Aber man muss charakterlich ganz schön stark sein. Kalusha war der Erste, der diese Stärke hatte, und trotzdem ist er noch mal im Knast gelandet. Aber er will es immer noch schaffen.
Wenn Sie an der Rütli-Schule mit Muhabbet und den Schülern Musik machen, wecken Sie dann nicht auch falsche Erwartungen?
Zunächst einmal ist es viel wert, dass die Jugendlichen überhaupt mal vor einem Publikum auftreten und Anerkennung für ihr Talent bekommen. Diese allgemeinen Vorurteile ihnen gegenüber sind doch unfassbar. Als meine Mutter, die auf dem Land lebt, hörte, dass ich in die Rütli-Schule gehe, hat sie erst einmal gesagt: Oh Gott. Es nervt mich auch, wie mit dem Begriff Integration umgegangen wird. Die meisten, die diesen Begriff rauf- und runterrattern, haben doch keine Ahnung.
Was steckt denn aus Ihrer Sicht hinter diesem Begriff?
Eine politische Schieberei, irgendwelche Referate, die noch gegründet werden müssen. Und hier muss noch geredet werden und da muss noch ein Arbeitskreis entstehen. Das Problem als solches kriegt man so nicht in den Griff. Für mich ist dieser Begriff politischer Müll.
Aber irgendwie muss man das Problem ja benennen.
Die Deutschen sollten endlich mal anerkennen, dass sie ein Multikulti-Land sind. Wenn du dich in den Großstädten bewegst, kommst du an Türken, Arabern, Russen einfach nicht mehr vorbei. Ich glaube, dass das Zusammenwachsen der Kulturen gerade im Jugendsektor schon viel besser funktioniert, als es einem suggeriert wird. Sie können keinen, der bis zu seinem 25. Lebensjahr in einem Bergdorf in der Türkei gelebt hat, dazu bringen, dass er sich wie ein Deutscher verhält. Aber diese Kids auf der Straße, die sind hier. Sie sind innerhalb der deutschen Gesellschaft eine feste Größe mit ein paar spezifischen Merkmalen. Das ist einfach so. Und so soll man sie auch akzeptieren.
Klappt das in Ihrer Firma? Werden Sie akzeptiert?
Mein Partner hat lange in der Türkei gelebt, und ich bin richtiger Vollblut-Niedersachse. Wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, dann geht’s richtig ab. Da passieren auch mal große Missverständnisse. Der eine sagt was, der andere explodiert, und dem einen ist gar nicht klar, warum der andere so empfindlich reagiert. Trotzdem ist unsere Zusammenarbeit für mich eine große Bereicherung. Die Türken, die ich hier kenne, leben ihre Eigenarten, die mir manchmal völlig gaga erscheinen. Aber so sehen sie uns ja auch. Mir hat das auf jeden Fall eine Menge gegeben. Ich habe immer mit dem Gedanken gespielt, auszuwandern. Aber die Türken haben mich hier gehalten.