piwik no script img

Archiv-Artikel

zielgruppensex von MICHAEL RUDOLF

Damit sich nicht grundlegend etwas am „Qualitätsmanagement“ zwischen oben und unten ändere, haben Landesregierungen und Bund unter anderem auch Zeitschriften erfinden lassen, welche die Aktivitäten eines eventbezogenen journalistischen Nachwuchses bündeln und ihn nebenher kräftig üben lassen, wie man den Würgereiz der alltäglichen Erniedrigung zur hippen Trendsportart hochjuchtelt. Mittlerweile decken unter anderem fluter, spiesser, yaez, Infakt, JUSTmag, shekker so ziemlich das ganze Bundesgebiet inklusive Internet ab.

In diesen Regierungsfanzines lernt die Community allmonatlich, Sozialdarwinismus in schicke neue Rechtschreibung zu übersetzen. Als Gruppenziel mag ihr eine lebenslängliche Praktikantenkarriere in der schmierigen Gelecktheit von, sagen wir, Kulturradio-Moderatoren vorschweben, die mittlerweile fast überall als kritisches Bewusstsein durchgeht. Oberste Regel: Nur von dem faseln, was allen anderen eh schon zum Hals heraushängt. Mit dem Mut von mindestens zehn kleinstädtischen Werbeagenturen pinseln die Niedriglohnschreiber tapfer das herbei, was irgendeine jüngste Shell-Studie als „Visionen“ der „Jugend“ verklärt: nämlich zu 88 Prozent „toll aussehen“ und zu 82 Prozent „Karriere“.

„Die Leseransprache soll zielgruppengerecht, aber nicht anbiedernd sein … Junge Autoren und Mitarbeiter sorgen für Authentizität und Zielgruppennähe“, befindet yaez. Und zwar mit „flotten Texten, frischen Fotos und leckeren Anzeigenhäppchen“, ergänzt spiesser. Andersrum wird ein Heft draus: Erst Anzeige, dann die Zwischenräume voll machen! Mit hochaktuellen Top-Themen wie „Fußball – nur noch ein Geschäft?“ und „Döner – die türkische Antwort auf den Hamburger“. Im Online-Streichelzoo des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung namens shekker. das jugendmagazin! kann es mitunter richtig zur Sache gehen: „Zunächst geht es jedoch um die Frage: Welche Identität haben Jugendliche in Deutschland? Julia Schimpf und Erdal Sezer finden Antworten darauf. Wichtig ist am Ende das Lebensgefühl: Jung in Deutschland zu sein!“

Zu Wort kommen vor allem jene, die niemals was zu sagen haben werden und das auch nicht ausdrücken können: „JUSTmag bedient sich mit heilendem Selbstvertrauen bei Harald Schmidt, Benjamin von Stuckrad-Barre & Co.“ Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, meint für seinen fluter: „Politische Themen werden dabei vorzugsweise in einen alltäglich erlebbaren, gesellschaftlichen Kontext gestellt. Fluter kann von seiner Zielgruppe teilweise selbst mitgestaltet werden … Wir machen vieles im Bereich Guerilla-Marketing. Beispielsweise legen wir Postkarten aus, arbeiten mit Medienpartnerschaften und sind bei kleinen Events von Partnern präsent.“ Erlebbar, Events, Guerilla-Marketing, gesellschaftlicher Kontext, präsent sein: brav, Krüger, sitz!

Ob das Humankapital beim steuermittelfinanzierten Zielgruppensex Schmuckwarze und Arschgeweih trägt oder schon mit integriertem Fotohandy auf die Welt kommt, hat sich ästhetisch als durchaus nebensächlich erwiesen. Der Übergang von der Ziel- zur Therapiegruppe ist ohnehin fließend.