: Berlin muss Brüssel folgen
VON CHRISTIAN RATH
Die Bundesregierung steht vor einer Schlappe beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) – und die Folgen für Tabakindustrie, Verleger und Raucher sind beträchtlich: Berlins Klage gegen ein Tabakwerbeverbot hat kaum Aussicht auf Erfolg, wie der EuGH-Generalanwalt Philippe Léger gestern in seinem Schlussantrag erklärte. In der Regel folgt der EuGH dem Gutachten des unabhängigen Generalanwalts.
Deutschland klagte gegen eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001. Darin wurde ein Verbot von Tabakwerbung in Zeitungen, Zeitschriften, im Rundfunk und im Internet angeordnet. Tabakfirmen wurde das Sponsoring grenzüberschreitender Veranstaltungen wie der Formel 1 untersagt. Die Richtlinie war bis zum 31. Juli 2005 umzusetzen, Deutschland ist säumig. Tabakwerbung im Fernsehen ist schon seit langem verboten.
Die damals rot-grüne Bundesregierung hatte 2003 gegen das Verbot geklagt, denn die EU habe keine Zuständigkeit für eine einheitliche Gesundheitspolitik. Die EU dagegen stützte die Richtlinie auf ihre Kompetenz zur Vereinfachung des Binnenmarkts. Dies hielt Deutschland für vorgeschoben. Schließlich würden weniger als ein Prozent der deutschen Zeitungen und Zeitschriften im Ausland verkauft.
Dieser Argumentation wollte Generalanwalt Léger jedoch nicht folgen: Das EU-weite Tabakwerbeverbot diene durchaus dem Abbau von Handelshemmnissen. In vielen EU-Staaten, wie Belgien und den Niederlanden, sei die Einfuhr ausländischer Zeitungen und Zeitschriften durchaus weit verbreitet. Und mit dem zunehmenden Online-Angebot von Zeitungen könnten die Probleme zunehmen, die aus national unterschiedlichen Werberegelungen folgen. Ein EU-einheitliches Werbeverbot erleichtere damit den Handel mit Medienprodukten.
Im Oktober 2000 hatte Deutschland noch triumphiert. Damals kippte das EU-Gericht auf deutsche Klage ein umfassendes EU-Tabakwerbeverbot. Der Grund: Im ersten Anlauf der EU waren auch Kinowerbung und Plakattafeln miterfasst – und diese haben keine grenzüberschreitende Wirkung. Doch die EU-Kommission erkannte die Feinheiten des Urteils: Gegen Werbeverbote in Zeitschriften und Radio sowie beim Sponsoring haben die EU-Richter keine Bedenken. Im zweiten Anlauf beschränkte sich das Tabak-Werbeverbot deshalb auf Zeitschriften, Radio, Internet und Sponsoring.
Die deutsche Klage dagegen hatte also von vornherein vor allem symbolische Wirkung, denn mit einem Meinungswechsel der EU-Richter binnen so kurzer Zeit ist kaum zu rechnen. Die Bundesregierung wollte mit der Klage wohl vor allem den politisch wichtigen Verlegerverbänden ihre Solidarität erweisen. Diese lehnen Tabakwerbeverbote generell ab. „Für ein legales Produkt muss man auch werben dürfen“, erklärt Wolfgang Fürstner, der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitschriftenverleger. Nach einem Verbot für Tabakwerbung würde bei den Zeitschriften etwa ein Prozent der Werbeeinnahmen wegfallen. Eigentlich nicht viel, doch wegen der angespannten Konjunktur führe derzeit jeder Werberückgang direkt zu Arbeitsplatzverlusten, so die Verleger. Auch der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft sieht die Frage grundsätzlich: „Wenn die EU mit dem Tabakwerbeverbot durchkommt, wäre der Weg auch für Werbeverbote bei Alkohol, Süßigkeiten oder Autos frei.“
Für die deutschen Verbraucher ist die Nachricht aus Luxemburg dagegen nicht erschreckend. Knapp 68 Prozent der Befragten befürworten ein Werbeverbot für Tabakwaren, wie eine Umfrage dieses Jahr ergab.