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Archiv-Artikel

Multikulti amtlich

VON LUKAS WALLRAFF

Seit gestern ist Deutschland offiziell Einwanderungsland. Was einige Unionspolitiker immer noch bestreiten, wurde vom Präsidenten des Statistischen Bundesamtes nun bestätigt. „Wenn in einer Gesellschaft 19 Prozent der Menschen einen Migrationshintergrund haben, dann kann man durchaus von einer Zuwanderungsgesellschaft sprechen“, stellte Johann Hahlen fest, als er die Ergebnisse des „Mikrozensus 2005“ präsentierte. Diese so genannte kleine Volkszählung, für die das Statistische Bundesamt 1 Prozent der Einwohner repräsentativ befragte, könnte den integrationspolitischen Diskurs verändern. Zumindest dürfte jetzt endgültig klar sein: Es geht nicht mehr darum, ob eine multikulturelle Gesellschaft in Deutschland wünschenswert ist oder nicht. Es gibt sie längst.

Der aktuelle Mikrozensus holt nach, was lange versäumt wurde: 50 Jahre nach Beginn der „Gastarbeiter“-Anwerbung gingen die staatlichen Statistiker zum ersten Mal überhaupt der Frage nach, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund im Lande leben. Das Ergebnis: 15,3 Millionen – fast ein Fünftel der Bevölkerung.

Damit hat das Bundesamt noch mehr Menschen mit Migrationshintergrund ermittelt als die damalige Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Grüne), vor einem Jahr. In ihrem letzten Bericht hatte Beck von „14 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund“ gesprochen. Leider ist bis heute niemandem ein bessere Bezeichnung eingefallen als dieses Wortungetüm. Es ist aber auch schwierig: Die Alternative „Ausländer“ jedenfalls führt in die Irre: So ließen sich höchstens jene 7,3 Millionen Einwohner bezeichnen, die eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen. Aber auch von ihnen leben viele bereits jahrzehntelang in Deutschland – und die meisten haben sowohl die Absicht, hier zu bleiben, als auch das Recht dazu. Das Kriterium des „Migrationshintergrunds“ kommt der Realität näher: Dann werden auch jene 8 Millionen Menschen mit deutschem Pass mitgerechnet, die entweder selbst zugewandert sind oder mindestens einen zugewanderten Elternteil haben. In der neuen Statistik zählen zu den Menschen mit Migrationshintergrund auch jene 1,8 Millionen, die seit 1999 als so genannte Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland kamen. Durch die insgesamt abnehmende Neuzuwanderung in den vergangenen Jahren geht der Anteil der Menschen mit eigener Migrationserfahrung jedoch zurück.

Bundesamts-Chef Hahlen ging bei seinem Fazit auch auf die Bedeutung der Migranten und Migrantenkinder für die demografische Entwicklung ein. Ohne sie „wäre der Alterungsprozess der Bevölkerung in Deutschland noch weitaus ausgeprägter, als wir ihn ihn ohnehin beobachten“, betonte Hahlen. Im Gegensatz zum Trend geht der Anteil der Altersgruppen bis 40 Jahre bei Menschen mit Migrationshintergrund nämlich nicht zurück, ergab der Mikrozensus. Zu dieser Verjüngung der Gesamtgesellschaft hätten die 7,3 Millionen Pass-Ausländer und die 8 Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund gleichermaßen beigetragen, so Hahlen.

Jürgen Klinsmann hat für die WM übrigens eine durchaus repräsentative Mannschaft nominiert: Mit Gerald Asamoah, Miroslav Klose, Oliver Neuville, David Odonkor und Lukas Podolski sind fünf Spieler mit Migrationshintergrund im Kader – eine Quote von 20 Prozent.