: UNO sucht den H5N1-Übertragungsweg
Experten beraten, ob der Handel mit Geflügel für die Verbreitung der Vogelgrippe wichtiger ist als Zugvögel
BERLIN taz ■ Die Zahl der mit Vogelgrippe infizierten Wildvögel steigt weiter an. In Deutschland registrierte das Friedrich-Loeffler-Institut bis gestern 343 infizierte Vögel. Seit Ende des Vogelzuges ist der Anstieg zwar schwächer geworden. Noch immer aber gibt es nur wenige Erkenntnisse darüber, welche Rolle Zugvögel bei der Ausbreitung des H5N1-Virus eigentlich spielen.
In Rom tagt deshalb seit gestern die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO gemeinsam mit der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE). Etwa 300 Experten aus 100 Ländern suchen eine Antwort auf die Frage: Wie genau breitet sich die Vogelgrippe aus?
Zwei Möglichkeiten gelten als wahrscheinlich: Zugvögel oder der kommerzielle Geflügelhandel. Für die internationale Vogelschutzorganisation Birdlife ist der kommerzielle Handel mit Geflügelprodukten und den Abfällen aus der Massentierhaltung verantwortlich. Schon seit längerem fordern die Vogelschützer deshalb, sich mehr um den in den letzten Jahrzehnten vor allem in Entwicklungsländern rapide angewachsenen Handel mit Geflügelprodukten zu kümmern.
Die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, die sich lange auf Zugvögel als H5N1-Verbreiter konzentrierte, musste inzwischen eingestehen, dass sehr wenig darüber bekannt ist, wie sich H5N1 innerhalb von Wildvögelpopulationen ausbreitet.
„Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob der H5N1-Virus sich in Wildvögelpopulationen über lange Zeit halten kann“, sagt Joseph Domenech, FAO-Chefveterinär. Könnte sich das Virus lange halten, wären Vögel immer wieder Quelle neuer H5N1-Infektionen. „Wären die Geflügelzucht Ursprung der Infektionen und Vögel ‚nur‘ deren Opfer, müssten die Präventionsmaßnahmen auf die Geflügelhaltung ausgerichtet sein“, sagt Domenech kurz vor der Konferenz.
Für Birdlife sprechen alle gesammelten Daten dafür, dass Wildvögel vor allem Opfer sind. So zeige der – bisher zumindest – glimpfliche Verlauf der Vogelgrippe in Europa, dass Zugvögel nicht die Rolle bei der Ausbreitung des Grippevirus spielten, die ihnen lange Zeit zugeschrieben worden ist. Das große Geflügelsterben, das mit dem Eintreffen der Zugvögel aus Afrika erwartet worden war, sei bisher ausgeblieben, so Birdlife. Die H5N1-Zahlen in Mitteleuropa zeigten, dass Wildvögel zwar in der Lage sind, das Virus in bisher nicht befallene Regionen einzuschleppen. Ausgangspunkt der Infektionskette aber seien Geflügelzuchtbetriebe.
So geht Birdlife auch davon aus, dass die in Mitteleuropa aufgetretenen Infektionen von Zugvögeln aus der Region am Schwarzen und Kaspischen Meer eingeschleppt wurden. Die Seuchen in den Geflügelbeständen seien dort höchstwahrscheinlich durch infizierte Geflügelprodukte ausgelöst worden. Sie seien jedenfalls nicht durch die Routen der Zugvögel erklärbar, so Birdlife.
Auch die seit einigen Monaten registrierten H5N1-Infektionen in afrikanischen und arabischen Staaten sind nur durch den globalen Handel mit Geflügelprodukten erklärbar.
WOLFGANG LÖHR