: 1-Euro-Jobs untauglich
Rechnungshof kritisiert Hartz IV: Vermittlung zu langsam, drei Viertel der 1-Euro-Jobs zweifelhaft. Müntefering tröstet Missbrauchs-Ankläger
VON ULRIKE WINKELMANN
Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hat gestern versucht, Wind aus der aktuellen Hartz-IV-Debatte zu nehmen. Gegenwärtig sammeln sich in den Medien die Stimmen, die angesichts einer vermeintlichen „Kostenexplosion“ Leistungskürzungen für Arbeitslose oder eine Generalüberholung der Arbeitsmarktreform oder beides fordern.
Müntefering verwies dazu im Deutschlandfunk auf die beiden Hauptmaßnahmen seines jüngsten „Optimierungsgesetzes“: „Wir werden dafür sorgen, dass in Zukunft solche, die als neue Bedarfsgemeinschaften bei Arbeitslosengeld II sich melden, vom ersten Tag an ganz strikt begleitet werden. Das heißt, dass Schwarzarbeit oder anderes nebenher dann auch nicht mehr möglich ist.“ Außerdem würden Antragsteller künftig intensiv daraufhin überprüft, ob es nicht doch ernährende Angehörige oder Partner gebe. Müntefering sagte, er benutze das Wort „Missbrauch“ nicht, aber: „Manche haben das Gesetz schon gedehnt, und das kann nicht sein.“
Ohne also das Wort zu verwenden, bestätigte der Minister damit die Hartz-IV-Kritiker, die im Leistungsmissbrauch das Hauptproblem der Arbeitsmarktreform erkennen wollen. Ihnen hat am Wochenende ein Bericht des Bundesrechnungshofs an den Bundestag weiteren Stoff geliefert. Der Rechnungshof hat in der zweiten Jahreshälfte 2005 und im ersten Quartal 2006 die Hartz-IV-Umsetzung überwacht.
Im Ergebnis bemängeln die Prüfer unter anderem, dass „die Vermögensverhältnisse eines Antragstellers (insbesondere Liegenschaften, Geldanlagen und Kraftfahrzeuge) in sieben von zehn Fällen nicht oder nicht ausreichend geprüft worden“ seien. „In sechs von zehn Fällen“ hätten es Kommunen und Arbeitsagenturen versäumt, „Unterhaltsleistungen von Angehörigen“ nachzugehen. Auch die „Erreichbarkeit“ sei nicht ausreichend geprüft beziehungsweise beanstandet worden. Hier wie an anderen Stellen empfiehlt der Bundesrechnungshof, „Sanktionsmöglichkeiten zu stärken“.
Doch sah sich gestern auch die Linksfraktion vom Rechnungshof bestätigt: „Die Ergebnisse des Bundesrechnungshofberichts zur Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende bestätigen die schlimmsten Befürchtungen der Linken hinsichtlich der so genannten 1-Euro-Jobs“, meldeten die Arbeitsmarktpolitikerinnen Kornelia Möller und Katja Kipping.
Tatsächlich ist das Urteil des Berichts zu den 1-Euro-Jobs vernichtend. Über 600.000 dieser „Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung“ wurden 2005 vergeben, im Schnitt für 5,7 Monate. Den Bund kosteten sie 1,1 Milliarden Euro.
„Bei fast einem Viertel“ der 1-Euro-Jobs lagen aber die Förderungsvoraussetzungen gar nicht vor, schreibt nun der Rechnungshof: Die Tätigkeiten waren „nicht im öffentlichen Interesse, nicht zusätzlich oder nicht wettbewerbsneutral“, vernichteten also richtige Jobs. Bei weiteren rund 50 Prozent der Jobs bestanden „Zweifel an der Förderungsfähigkeit“, weil die Behörden zu wenig über deren Inhalt wussten. Ob aber mit 1-Euro-Jobs jemand in den ersten Arbeitsmarkt integriert wird, ist unklar.
Insgesamt kritisierte der Rechnungshof „zum Teil erhebliche Mängel“ an der Vermittlungsarbeit, die auch am schlecht qualifizierten Vermittlungspersonals lägen. Etwa habe es mit einem Drittel der Arbeitsuchenden keinerlei strategisches Gespräch gegeben, obwohl sie seit durchschnittlich 7,5 Monaten ALG II bekamen.
Die Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit erklärte gestern lakonisch: „Dass bei der Vermittlung vor Ort nicht alles rund läuft, wissen wir.“ Doch bleibe ja das Problem, dass ohne Jobangebote für Langzeitarbeitslose die beste Vermittlung nicht nutze.
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