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Archiv-Artikel

„Ich rede nicht von No-go-Areas“

Bundestagsvizepräsident Thierse kritisiert Ex-Regierungssprecher Heye. Dessen Rat, Ausländer sollten Brandenburg meiden, helfe den Nazis

taz: Herr Thierse, Uwe-Karsten Heye hat Ausländern geraten, bestimmte Regionen in Brandenburg zu meiden. Hat er Recht?

Wolfgang Thierse: Allgemeinurteile sind nicht sinnvoll. So richtig es ist, darauf hinzuweisen, dass es in Ostdeutschland, auch in Brandenburg, deutlich mehr rechtsextremistische Leute und Gewalttaten gibt, so wenig sinnvoll ist es, No-go-Areas zu benennen. Man müsste in dem Fall auch darauf hinweisen, dass sich viele Bürger und Kommunalpolitiker in Brandenburg energisch und ehrlich gegen die Rechten wehren. Da hat sich etwas verbessert.

Die Wahrscheinlichkeit, als Ausländer im Osten Opfer einer Gewalttat zu werden, ist laut Statistik zehnmal höher als im Westen. Herr Heye hat den Finger offensichtlich in eine schmerzende Wunde gelegt.

Entschuldigen Sie, aber das mache ich seit Jahren! Trotzdem rede ich nicht von No-go-Areas, wo Ausländer nicht hingehen dürfen. Erstens: Wenn man zu so etwas auffordert, bestätigt man die Rechten und bescheinigt ihnen öffentlich, sie hätten ihr Ziel erreicht. Ich halte das für verheerend. Zweitens: Man demotiviert alle, die sich gegen Rechtsextreme wehren. Das halte ich für falsch. In Ostdeutschland ist das Problem deutlich größer. Richtig. Deswegen müssen wir uns mehr anstrengen und wir müssen ehrlicher mit dem Thema umgehen. Aber wir dürfen das Feld nicht den Rechten überlassen und sagen: Ausländer, geht da nicht hin! Solche Warnungen führen letztlich dazu, dass die ausländerfreien Zonen, das Ziel der Rechten, Wirklichkeit werden. Das kann man nicht wollen.

Auch der Afrika-Rat hat kürzlich eine ähnlich lautende Warnung herausgegeben. Wie ist die zu bewerten?

Das ist eine verständliche Artikulation von Angst. Deutsche Politiker sollten das ernst nehmen, aber nicht selber vollziehen, was Rechte wollen. Ich widerspreche Heye auch an der Stelle, wo er sagt, das Problem werde bagatellisiert. In Potsdam haben die Bürger öffentlich ihr Entsetzen über den Angriff auf einen Schwarzen bekundet. Etwas anderes ist die Reaktion des brandenburgischen Innenministers Schönbohm …

der den rechten Hintergrund der Tat nicht sehen wollte.

Darüber müssen Sie mit dem Innenminister selber sprechen.

Die Aufregung um Heyes Äußerung hängt offensichtlich mit der Fußball-WM zusammen. Sorgt man sich mehr um das Ansehen Deutschlands in der Welt als um die Sicherheit der Gäste?

Ob die Aufregung größer oder kleiner wäre, ist eine Frage an die Journalisten. Mich ärgert seit Jahren der medienkonjunkturelle Umgang mit dem Thema: Es passiert etwas, dann gibt es zwei Tage Aufregung, dann ist wieder Ruhe. Wir brauchen ein kontinuierliches Problembewusstsein. Alles andere ist falsch. Dass angesichts der WM eine besondere Aufmerksamkeit entsteht, ist doch erklärbar und gerechtfertigt. Wir wollen gute Gastgeber sein. Wenn dann rechtsextremistische Idioten die Gastfreundschaft verderben, ist das sehr wohl ein Anlass, sich öffentlich aufzuregen.

INTERVIEW: DOMINIK SCHOTTNER