: Die besten Filme waren die Betriebsunfälle
Ein wichtiges Kapitel deutscher Mediengeschichte: Die Defa, die Filmproduktionsfirma der DDR, feiert ihren sechzigsten Geburtstag
Die Wiedergeburt des deutschen Kinos nahm nach Kriegsende in der sowjetischen Besatzungszone ihren Anfang, nicht im Westen. Als am 17. Mai 1946 in den einstigen Althoff-Studios in Potsdam die Defa aus der Taufe gehoben wurde, befand sich „Die Mörder sind unter uns“ unter der Regie von Wolfgang Staudte bereits in Arbeit.
Während die westlichen Alliierten es als viel zu früh einstuften, die eben noch Hitler-begeisterten Deutschen schon wieder mit dem brisanten Medium Film hantieren zu lassen, räumte die sowjetische Militäradministration großzügige Möglichkeiten ein. Hintergrund war die Strategie Stalins, unmittelbar nach Kriegsende in allen von der Roten Armee besetzten Gebieten den Anschein eines „volksdemokratischen“ Aufbruchs zu stiften.
Tatsächlich entstanden zwischen 1946 und 1949 einige der interessantesten Defa-Produktionen überhaupt, so 1947 unter dem Titel „Wozzeck“ (Regie: Georg C. Klaren) eine stark expressionistische Verfilmung des berühmten Büchner-Stoffs, für die mit Hermann Warm einer der Bühnenbildner des legendären „Caligari“-Films (1917) verpflichtet werden konnte. Auch Wolfgang Staudtes Bürokraten-Farce „Die seltsamen Abenteuer des Fridolin B.“ oder das Sexualdrama „Straßenbekanntschaft“ von Peter Pewas (beide 1948) schlugen Töne an, die schon wenig später undenkbar schienen.
Nach Gründung der DDR 1949 und spätestens nach dem Abfall Jugoslawiens vom stalinistischen Kurs (1952) verschärften sich die innenpolitische Situation und damit auch die Arbeitsbedingungen in Babelsberg zusehends. Die Defa-Mitbegründer Alfred Lindemann und Karl Hans Bergmann setzten sich bereits 1948 resigniert in den Westen ab. Mit Sepp Schwab wurde dann ein demagogischer Parteisoldat zum Studioleiter berufen, der als eine seiner ersten Amtshandlungen Staudtes „Rotation“ (1949) verstümmelte und schließlich 1951 erstmalig einen ostdeutschen Spielfilm nach dessen Fertigstellung verbot.
Ausgerechnet der ehemalige Widerstandskämpfer Falk Harnack (Bruder des 1942 hingerichteten Arvid Harnack) musste erleben, dass sein Film „Das Beil von Wandsbek“ (mit dem einstigen KZ-Häftling Erwin Geschonneck in der Hauptrolle) unter dem Vorwurf der Psychologisierung von Tätern auf den Index gesetzt wurde. Das Dogma des „Sozialistischen Realismus“ inkriminierte nun sämtliche formale wie inhaltliche Tendenzen, die dem „Kritischen Realismus“, sprich: dem bürgerlichen Lager zugeschlagen wurden. Im Grunde dauerte diese filmische Eiszeit 40 Jahre lang an, bis zum Fall der Mauer 1989. Sie wurde immer wieder von ebenso kurzen wie trügerischen Phasen des Tauwetters unterbrochen, nie aber konnte sich in der DDR eine innovative Filmszene herausbilden, die mit der Ungarns, Polens, der Tschechoslowakei (bis 1968) und sogar der Sowjetunion zu vergleichen gewesen wäre. Filmemacher wie Gerhard Klein, Konrad Wolf, Heiner Carow, Frank Beyer, Egon Günther, Jürgen Böttcher, Rainer Simon oder Ulrich Weiß schufen zwar wichtige Beiträge zur gesamtdeutschen Kinematografie, doch blieben diese Filme immer Ausnahmen von der Regel, stellten im Grunde Betriebsunfälle der ostdeutschen Kulturgeschichte dar.
Mit zahlreichen Retrospektiven und Publikationen sowie einem großen Festakt auf dem ehemaligen Studiogelände in Potsdam wird nun der 60. Geburtstag der Defa feierlich begangen. Völlig zu Recht wird damit auf ein wichtiges Kapitel deutscher Mediengeschichte verwiesen. Mit seinen zirka 750 überlieferten, abendfüllenden Spielfilmen stellt das Defa-Konvolut einen gewaltigen Steinbruch für Historiker, Soziologen und Ethnologen dar, der zudem mit dem Reiz ausgestattet ist, ein abgeschlossenes Sammelgebiet zu verkörpern.
Auch die künstlerisch missratenen und die politisch demagogischen Produktionen reflektieren Wirklichkeiten, auch dann noch, wenn sie von deren verlogener Darstellung zeugen. Neben Versuchen, diesen filmischen Fundus als Folie für DDR- Behaglichkeiten zu benutzen und zu verramschen, gibt es zahlreiche Ansätze eines kritischen und kontextualisierenden Umgangs. Neben den sechs Jahrbüchern der Defa-Stiftung und den von Ralf Schenk herausgegebenen Grundlagenwerken über den ostdeutschen Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilm unternimmt auch ein aktuelles Buch von Wolfgang Gersch einen solchen Versuch. In „Szenen eines Landes. Die DDR und ihre Filme“ nutzt der Brecht-Experte und Filmbeauftragte der allerletzten DDR-Regierung eine chronologisch gegliederte, sehr subjektive Auswahl von mehr als 50 Defa-Spielfilmen als Gerüst für zeitgeschichtliche Brückenschläge. Anhand der Entstehungs- und Wirkungsgeschichten der Filme schließt Gersch auf interne Zwänge des DDR-Systems, erläutert dessen Metamorphosen und deutet an, warum die in die Defa gesetzten Hoffnungen letztlich scheitern mussten. Was seiner Studie fehlt, ist eine wirkliche These, die über den bloßen Verweis auf den Illustrationscharakter der Filme hinausgeht. Dennoch liefert sie eine bisher brachliegende Perspektive und damit weitere Diskussionsgrundlagen. CLAUS LÖSER
Wolfgang Gersch: „Szenen eines Landes. Die DDR und ihre Filme“. Aufbau- Verlag, Berlin 2006, 226 S., 22,90 €