: „Es war schwer, sich nicht wie Gott zu fühlen“
Der 44-jährige Leonard Orban führte für Rumänien die Verhandlungen mit der EU. Nun muss er seine Frau überzeugen, nach Brüssel umzuziehen
AUS BUKAREST HEIKE HAARHOFF
Miercurea Ciuc, schon der Name der Stadt klingt wie ein Fluch. Miercurea Ciuc, einer der kältesten Orte Rumäniens, 40.000 Einwohner inmitten der Karpaten. Minus 30 Grad im Winter sind hier die Norm, kaputte Heizanlagen waren es über Jahrzehnte hinweg auch. Ausgerechnet hier war der kommunistische Diktator Ceaușescu auf die Idee gekommen, Traktoren fertigen zu lassen.
Leonard Orban denkt oft an die Jahre zwischen 1986 und 1989, die er hier als junger Ingenieur zubringen musste. Dabei hat diese Zeit mit seinem heutigen Leben auf den ersten Blick wenig zu tun: Leonard Orban, demnächst 45 Jahre alt, ist Chefunterhändler bei den Verhandlungen um den EU-Beitritt Rumäniens. Auf dem Beitrittsvertrag aus dem vorigen Jahr steht seine Unterschrift gleich neben der des rumänischen Staatspräsidenten. Heute kümmert er sich als Staatssekretär im Ministerium für Europäische Integration in Bukarest um die, wie er sagt, „letzten Details“ vor der endgültigen Aufnahme seines Landes in die EU. Das Feilschen um den Beitrittstermin, 2007 oder 2008, um den es heute auch im Fortschrittsbericht der EU-Kommission gehen wird, gehört dazu.
Die Erwartungen der rumänischen Regierung an ihn sind spürbar. Orban ist ihr Verbindungsmann nach Brüssel, Enttäuschungen über dort gefällte Entscheidungen werden daheim auch seinem Verhandlungsgeschick angelastet. Um diesem Druck standzuhalten, sagt er, sei die Erinnerung an die eigene Herkunft hilfreich: „Das Schlimmste war damals die Perspektivlosigkeit. Wenn man 25, 26, 27 Jahre alt ist und weiß, diese Stadt und dieser Job, das ist jetzt dein Leben. Bis zur Rente. Kein Entrinnen.“
Umziehen, die Stelle wechseln, das war nicht drin, Lebensentwürfe oblagen nicht der eigenen Entscheidung damals. Für den jungen Leonard Orban aus dem siebenbürgischen Brasov, der von der weiten Welt träumte, seit er als 15-jähriger Leichtathletik in der rumänischen Nationalmannschaft hatte trainieren dürfen, hatten die Kommunisten das Schicksal eines Traktoringenieurs im 100 Kilometer entfernten Miercurea Ciuc ausersehen. Verglichen mit der kollektiven Hoffnungslosigkeit in den Jahren vor und der politischen Orientierungslosigkeit nach dem Sturz des autoritären Regimes seien die heutigen Schwierigkeiten Rumäniens kalkulierbar, findet er: „Die EU ist das Beste, was diesem Land passieren konnte.“
Diesen Satz wiederholt er oft, auf internationalen Konferenzen und in Fernsehrunden, in denen es darum geht, wie Rumänien, eines der ärmsten Länder Europas, berüchtigt für seine Korruption, seine vorsintflutliche Landwirtschaft, seine schlechte Infrastruktur, bestehen soll in einem modernen Europa. Aber auch vor den 20 Abteilungsleitern aus dem Justiz- und Innenministerium, die regelmäßig nach Brüssel berichten müssen, welche Fortschritte beispielsweise in der Drogenbekämpfung, der Grenzsicherung oder der Antikorruptionsgesetzgebung gemacht wurden, verbreitet er diesen Optimismus.
Schlachthöfe und Kanalisation
Er selbst hat Grund dazu. Im Umsturzjahr 1989 war Leonard Orban 28 Jahre jung, unvorbelastet und neugierig genug, sich ein neues Leben zuzutrauen. Er heiratet eine Frau aus Bukarest, er zieht in die Hauptstadt, 1992 schließt er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften ab, 1993 wird er Berater für europäische und internationale Angelegenheiten in der Abgeordnetenkammer. Er wird Mitglied der rumänischen EU-Verhandlungsgruppe, er ist diplomatisch, ehrgeizig. Es ist eine Frage der Zeit, bis er zum Chefunterhändler ernannt wird.
Die Kanalisation einzelner Regionen, die Elektrifizierung ganzer Landesteile, die Hygienebestimmungen in Schlachthöfen – manchen Bericht schreibt er eilig an einem einzigen Wochenende zusammen. Es gibt eine politische Vorgabe, sie lautet Beitritt 2007, und alles andere ist egal. Die Umsetzung der vielen oft über Nacht geschaffenen Gesetze, das weiß auch Orban, wird die eigentliche Herausforderung Rumäniens in der Zukunft werden. Das Flugzeug nach Brüssel wird sein zweites Zuhause, sein Rheuma wird schlimmer. In seiner Ehe rumpelt es gewaltig. „Wir hielten damals eine ungeheure Macht in den Händen“, verteidigt er sich heute. „Es war schwer, sich nicht wie Gott zu fühlen.“
Nach dieser Erfahrung erschüttert ihn nur wenig – positiv wie negativ. Eine ausländische Bank, murrt in der Abteilungsleiterrunde gerade ein Vertreter aus dem Justizministerium, habe sich in Brüssel beschwert: Dem von ihr bei den rumänischen Behörden gemeldeten Korruptionsverdacht sei nicht schnell genug nachgegangen worden. „Deren Eindruck ist, alles EU-Geld, das nach Rumänien fließt, wird hier betrügerischen Zwecken zugeführt“, schnaubt der Beamte. Orban hört solchen Hiobsbotschaften geduldig zu, er unterbricht nicht, er schilt nicht. Das Bewusstsein für Unrecht, das über Jahrzehnte mit fatalistischer Duldsamkeit hingenommen wurde, wächst langsam.
Sein Blick wandert aus dem Fenster, hinaus zu Ceaușescus Palast, einem monströsen Bau, für den einst die Bukarester Altstadt platt gemacht wurde. Heute residiert dort das Parlament. Es gibt Wandel, durchaus. „Bleibt im Dialog mit der Bank, zeigt euch transparent“, empfiehlt Leonard Orban, „nur so werden sie uns vertrauen.“
Die Karten offen auf den Tisch legen, die Fortschritte niemals klein reden, aber auch die Schwierigkeiten eingestehen und im Zweifel um Hilfe bitten – mit dieser Strategie ist der Chefunterhändler Orban erfolgreich gewesen. Sein bescheidenes Auftreten, gepaart mit enormer Detailkenntnis und politischer Unabhängigkeit, hat ihm in Brüssel Autorität und Glaubwürdigkeit beschert. Leonard Orban ist parteilos und hat allen Abwerbeversuchen in die Politik bislang widerstanden. „Ich bin Technokrat“, sagt er von sich, „und möchte es bleiben.“ Was daran so attraktiv ist? Um seine Mundwinkel bildet sich ein spöttischer Zug: „Die Politiker entscheiden, das Wissen haben wir.“
Solche Sätze kommen gut an in Brüssel. Im Gegenzug achteten die EU-Verhandlungsführer darauf, dass ihr rumänischer Counterpart daheim nie das Gesicht verlieren musste. Als rumänische Unternehmer vor Gericht zogen und drohten, Orbans Ministerium zu belagern, sollte er nicht dafür sorgen, dass ihre – aus EU-Sicht wettbewerbswidrigen – staatlichen Beihilfen erhalten blieben, da fand sich eine unbürokratische Lösung: Das Datum für den Übergangszeitraum, während dessen die Staatshilfen zulässig sind, wurde verschoben. „Allein gelassen“, sagt Orban, „habe ich mich höchstens von meinem eigenen Land gefühlt.“
Auf dem Weg in die Kommission
Dankbarkeit macht gefügig. Manchmal auch blind. Man kann sich mit Leonard Orban stundenlang charmant unterhalten und wird nicht ein kritisches Wort zur EU hören. Verkrustete Strukturen? „Ich teile nicht die Meinung, dass es sich um eine Bürokratie weit weg von den Menschen handelt.“ Undemokratische Institutionen? „Die Kommission ist unabhängig.“ Die Verfassung? „Die Informationskampagnen in Holland und Frankreich waren nicht gut.“ Erweiterungspläne ohne Vision? „Die Anzahl der Mitglieder ist nicht das Problem. Es sind die Entscheidungsmechanismen, die verbessert werden müssen.“ Rumäniens Forderungen an die EU? „Wir werden ein kooperativer Partner sein.“
Es ist davon auszugehen, dass Leonard Orban ein Posten in der EU-Kommission sicher ist, egal ob ab 2007 oder 2008. Dies sei sein großes Ziel, sagt er, und sieht todunglücklich aus: „Ich werbe gerade zu Hause für einen gemeinsamen Umzug nach Brüssel.“ Es klingt, als habe er seine schwersten Verhandlungen gerade erst vor sich.