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Archiv-Artikel

Emissionshandel bleibt in der Spielphase

EU-Kommission veröffentlicht Zahlen: Die Regierungen vergaben Lizenzen für 44 Millionen Tonnen mehr CO2, als überhaupt produziert wurde. So werden die Verschmutzungsrechte zunächst richtig billig. Druck auf Klimasünder entsteht kaum

VON BERNWARD JANZING

Seit fast drei Wochen hatte sich das Fiasko angedeutet, jetzt haben es die offiziellen Zahlen bestätigt: Die Staaten der Europäischen Union haben ihren Unternehmen für das vergangene Jahr mehr Emissionsrechte zugeteilt, als die Firmen tatsächlich benötigen. Damit wurde die Grundidee des Emissionshandels ad absurdum geführt: Das Klimaschutzinstrument, das im Rahmen des Kioto-Protokolls eingeführt wurde, kann nur effizient wirken, wenn die Verschmutzungsrechte knapp sind. Sind sie im Überfluss vorhanden, entfällt jeglicher Druck zur Reduktion der Emissionen.

Europaweit wurden nun aber so viele CO2-Kontingente ausgegeben, dass der Bedarf der Industrie um 44 Millionen Tonnen überschritten wurde. Das geht aus Zahlen von 21 der 25 EU-Mitgliedstaaten hervor, die die Kommission gestern veröffentlichte. Allein Deutschland verteilte 21 Millionen Tonnen mehr als nötig – ein Überschuss von vier Prozent. Nur aus Polen, Luxemburg, Zypern und Malta liegen noch keine Zahlen vor.

Das Bundesumweltministerium versuchte gestern, die Situation zu beschönigen. So sei der verringerte CO2-Ausstoß im Jahr 2005 auch durch „Klimaschutzanstrengungen der beteiligten Unternehmen“ bedingt, hieß es in Berlin. Auch die Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt teilte mit, „die Produktion von alten CO2-intensiven Anlagen ist innerhalb der Branchen und der Unternehmen auf neue effizientere Anlagen verlagert“ worden.

In der Tat hat manche Firma investiert. Denn als die Tonne CO2 im europäischen Emissionshandel für zwischen 25 und 30 Euro gehandelt wurde, war das für viele Unternehmen ein echter ökonomischer Anreiz zur Emissionsminderung. Die hohen Preise basierten allerdings auf der Annahme, die Kontingente seien tatsächlich knapp. Als der Überfluss offenbar wurde, brachen die Zertifikatspreise entsprechend ein, zuletzt auf Werte zwischen 9 und 10 Euro. Am Freitag hatte die Financial Times Deutschland sogar Analysten zitiert, die einen Fall „fast auf null“ für möglich hielten.

Ganz so schlimm kam es dann zwar doch nicht, doch die umweltpolitischen Aussichten für dieses und das nächste Jahr sind gleichwohl düster. Denn für die erste Handelsphase im Rahmen des Kioto-Abkommens, die von 2005 bis 2007 geht, sind die Kontingente längt festgelegt – und damit bleiben sie bis 2007 üppig bemessen. Dass hier die EU nochmals die Schraube anziehen wird, ist nicht vorgesehen. Entsprechend gibt es frühestens 2008 einen spürbaren Druck auf die Unternehmen, die Effizienz ihrer Anlagen zu verbessern.

Emissionsrechte für 12 Millionen Tonnen hofft das Umweltministerium unterdessen noch nachträglich infolge von Sonderregelungen im deutschen Zuteilungsgesetz zurückziehen zu können. Mit der Klausel sollte sichergestellt werden, dass überzählig zugeteilte Kontingente wieder eingesammelt werden können. Diese Ex-post-Korrektur ist allerdings noch Gegenstand einer Klage der EU-Kommission vorm Europäischen Gerichtshof. Es ist unsicher, ob sie umgesetzt werden kann.

So schauen Umweltverbände längst Richtung 2008 und fordern nun mehr Mut bei der Festlegung zukünftiger Kontingente. Angelika Zahrnt, Bundesvorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz, sagte gestern, der Emissionshandel dürfe „nicht zum Papiertiger verkommen“. Die Bundesregierung müsse nun die Konsequenzen aus den vorliegenden Zahlen ziehen und von den Unternehmen „bei der Zuteilung der Emissionsrechte für die nächste Handelsperiode mehr Klimaschutz einfordern“.

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