: „Regierungen an der Nase herumgeführt“
Der Preis für Kohlendioxid-Verschmutzungsrechte ist zusammengebrochen, weil die Regierungen zu viele Zertifikate verteilt haben. Die EU-Kommission erwartet, dass sich der Emissionshandel von den Startproblemen erholen wird
taz: Herr Runge-Metzger, in den vergangenen zwei Wochen ist der Preis für Kohlendioxidzertifikate an den europäischen Energiebörsen von knapp 30 auf 13 Euro abgestürzt. Offensichtlich gab es zu viele Emissionsscheine. Haben sich die Regierungen verrechnet?
Artur Runge-Metzger: Es ist schwierig, die C02-Emissionen vorab genau zu berechnen. Sie hängen von vielen Faktoren ab wie Witterung, Ölpreis oder Energiesparmaßnahmen in den Firmen. Manchmal kann es auch sein, dass die Regierungen von den Unternehmen an der Nase herumgeführt worden sind. Sie haben einfach höhere Emissionen angegeben, als sie tatsächlich hatten.
Wie soll ein Markt für C0 2 -Emissionen funktionieren, wenn er derart anfällig für Täuschungsversuche ist?
Ich glaube nicht, dass es böse Absicht der Mitgliedstaaten war, sondern dass das Überangebot an Emissionsrechten meist aufgrund der schlechten Datenlage geschätzt wurde. Man darf nicht vergessen: Das Monitoringsystem zur Messung der Emissionsmengen wurde zum ersten Mal angewandt.
Für viele Firmen besteht jetzt kein Anreiz mehr, in die Kohlendioxidvermeidung zu investieren. Wann werden die Preise für C0 2 -Zertifikate wieder steigen?
Das ist schwer vorherzusehen. Auf der Angebotsseite ist die Gesamtzahl der Emissionsrechte für die erste Handelsperiode von 2005 bis 2007 bereits verbindlich festgelegt. Die nächste Zuteilung wird für 2008 bis 2012 stattfinden. Die EU-Staaten sind momentan dabei, ihre nationalen Zuteilungspläne für diesen Zeitraum zu erstellen. Mit den neuen Daten haben die Regierungen eine viel bessere Basis, um mit den Firmen über striktere Emissionsgrenzen zu verhandeln.
Warum wurde kein einheitliches Datum festgelegt, an dem alle Länder gleichzeitig ihre tatsächlichen Emissionszahlen veröffentlichen, um eine Marktverunsicherung zu vermeiden?
Das ist eigentlich vorgesehen.
Warum halten sich die Länder nicht daran?
Politik wurde damit nicht gemacht. Vielleicht waren alle etwas naiv. In einem Fall weiß ich, dass die Zahlen aus einem Ministerium durchsickerten und der betreffenden Regierung nichts anderes übrig blieb, als am nächsten Tag die Daten offiziell zu veröffentlichen.
Kann die EU-Kommission die Länder zur Räson rufen?
Wir können lediglich beraten. Sanktionsmöglichkeiten gibt es nicht.
Sollten die nationalen Regierungen – ähnlich wie bei dramatischen Währungsschwankungen – Emissionszertifikate vom Markt kaufen, um das Angebot zu verknappen und den Markt zu stabilisieren?
Ob das gegenwärtig sinnvoll ist, ist fraglich. Die EU-Kommission hat immer gesagt, dass die ersten drei Jahre eine Testphase sind. Wir müssen lernen, mit diesem neuen Handelssystem umzugehen. Wenn wir uns die Erfahrungen in den USA beim Handel von Schwefeloxiden seit Beginn der 90er-Jahre ansehen – da gab es auch viele Überraschungen und anfangs ein Überangebot.
INTERVIEW: MICHAEL STRECK