: Erfolgloses Unternehmen Bahn
Züge und Schienen gemeinsam zu privatisieren ist falsch. Heute erklären kritische Experten dem Verkehrsausschuss die Gründe. Nur nützen wird es vermutlich nicht
Im September soll der Fahrplan fertig sein. Dann wissen wir, wie und wann die Deutsche Bahn AG privatisiert wird. Zur Entscheidung steht nicht nur die Zukunft eines Staatsunternehmens, sondern auch die der deutschen Verkehrspolitik. Es geht um die Frage, ob der Schienenverkehr bis zur Marginalgröße schrumpft oder noch eine echte Chance bekommt. Setzt sich DB-Chef Hartmut Mehdorn mit seinem Vorschlag durch, das Netz im Besitz der DB zu lassen und mitzuverkaufen, wird dies für die Steuerzahler extrem teuer. Und Impulse für eine Trendwende auf dem Verkehrsmarkt bleiben ganz aus.
Die DB drängt schon lange auf den Börsengang, weil sie sich frisches Kapital für Investitionen erhofft. Der Staat rechnet mit Einnahmen aus dem Verkauf. Realistisch sind solche Hoffnungen nicht. Denn wer will sein Geld in ein so erfolgloses Unternehmen stecken? Allenfalls wenn der Staat viel drauflegt, finden sich Käufer für das Ganze.
Die DB AG ist seit der Bahnreform vor zwölf Jahren kaum vom Fleck gekommen. Dabei hat es an finanzieller Unterstützung nicht gemangelt. 1994 startete sie schuldenfrei und brauchte nicht einmal mehr die Abschreibungen für die Investitionen der Vorjahre zu verdienen. Seither hat der Staat kräftig zugebuttert: 45 Milliarden Euro flossen in den Erhalt und Ausbau der Gleise und Bahnhöfe. 72 Milliarden Euro brachten die Regionalisierungsmittel, mit denen die Länder den Nahverkehr auf der Schiene subventionieren. Hinzu kamen noch knapp 100 Milliarden für Altlasten, für die Pensionen von Beamten und für den Schuldendienst.
Dennoch hat die DB schon wieder über 22 Milliarden Euro Schulden angehäuft. Dabei kann von einer Verkehrsverlagerung auf die Schiene keine Rede sein. Ihr Verkehrsanteil dümpelt sogar noch unter dem eh schon niedrigen Niveau von Anfang der 90er-Jahre.
Die Gründe für diese äußerst schwache Leistung sind sicher nicht allein beim DB-Missmanagement zu suchen. Doch Tatsache ist: Für echten Gewinn sorgen bisher nur die zugekauften Logistikunternehmen, die ihre Transporte vorwiegend mit Lastern, Frachtern und Fliegern abwickeln. Zwar weist auch der DB-Regionalverkehr schwarze Zahlen aus. Doch dieser Bereich wird zu 70 Prozent aus Steuergeldern finanziert und ist deutlich überteuert. Die DB verlangt für die Nutzung eines Schienenkilometers durch einen Nahverkehrszug wesentlich mehr, als Kosten entstehen – während insbesondere die ICE nur einen Bruchteil dessen einbringen, was sie an Kosten verursachen. Im Klartext: Der staatlich subventionierte Nahverkehr finanziert den Fernverkehr.
Genau um solche – eigentlich verbotene – Querfinanzierung weiterbetreiben zu können, will Mehdorn mit aller Gewalt DB-Netz und Betrieb zusammenhalten. Schließlich ist per Grundgesetz abgesichert, dass der Staat auch künftig mehrere Milliarden Euro im Jahr für das Schienennetz aufbringen muss. Über diesen garantierten Geldzufluss will der DB-Chef weiter verfügen.
Zu Kanzler Schröders Zeiten lief für Mehdorn noch alles gut. Die Investmentbank Morgan Stanley sollte herausfinden, ob eine „integrierte Lösung“ machbar ist – und bestätigte, dass der gemeinsame Verkauf von Netz und Betrieb sinnvoll sei. Erst auf Intervention des Bundestages wurden andere Varianten bis hin zur vollen Trennung von Netz und Betrieb geprüft. Was die sieben an diesem Gutachten beteiligten Büros aber kürzlich vorlegten, ist keineswegs eine Abwägung aller Vor- und Nachteile. Stattdessen haben sie ein an vielen Stellen widersprüchliches, absurdes Machwerk vorgelegt, das wie ein schlechter politischer Kompromiss wirkt.
Nur ein Beispiel: Nach Mehdorns Lieblingsvariante soll der Staat 5 bis 8,7 Milliarden Euro für den Verkauf von 49 Prozent des Unternehmens kassieren. Bei der Berechnung, welche Dividende der Staat für seinen verbleibenden 51-Prozent-Anteil künftig erwarten darf, wird aber ein mehr als dreimal so hoher Unternehmenswert zugrunde gelegt. Im Klartext: Entweder der Investor bekommt seinen Anteil viel zu billig – oder die Gutachter rechnen die Dividende für den Staat hoch, um diese Variante attraktiv zu machen.
Viel Streit habe es intern gegeben, heißt es – zumal weiterhin die mit der DB verbandelte Bank Morgan Stanley die Datengrundlage liefern durfte. Die anderen Gutachter sahen nur die Chance, im Text ihre Gegenpositionen unterzubringen; alle – darunter auch Universitätsprofessoren – haben das Papier am Schluss opportunistisch mit unterzeichnet. Sinnvoller wäre es gewesen, wenn sie die Arbeitsbedingungen offen gelegt und dem Bundestag eine klar formulierte Gegenposition abgeliefert hätten. Schließlich beauftragen Politiker Experten, um eine solide Entscheidungsgrundlage zu bekommen – faule Kompromisse handeln die Politiker dann schon selbst aus.
Finanzminister Peer Steinbrück schielt nun bereits auf die Milliarden. Doch der Mann freut sich zu früh: Nicht einen müden Cent würde er sehen. Denn für Investoren interessant ist das Unternehmen DB nur, wenn die mickerige Eigenkapitalquote deutlich erhöht wird und das Unternehmen damit als jederzeit kreditwürdig gilt. So ist es auch dem Gutachten zu entnehmen. Der Bund als Mehrheitseigentümer müsste also bereit sein, das Geld des Käufers sofort wieder in die DB zu investieren – und das würde vermutlich immer noch nicht reichen. Außerdem ist der Einstieg bei der DB nur interessant, wenn der Staat Investitionszuschüsse für mindestens zehn Jahre verbindlich zusagt, schreiben die Gutachter. Summa summarum geht es dabei um weitere 39 Milliarden Euro Steuergelder.
Heute veranstaltet der Verkehrsausschuss des Bundestages eine Expertenanhörung. Immerhin sind viele Fachleute geladen, die eine Mehdorn-kritische Position vertreten. Denn tatsächlich kann niemand, der das Interesse der Allgemeinheit im Blick hat, ernsthaft für eine gemeinsame Privatisierung von Netz und Betrieb eintreten. Verkehrspolitisch ist sie fatal, weil strukturell alles beim Alten bleibt. Wodurch in diesem Modell mehr Verkehr auf der Schiene kommen sollte, kann niemand beantworten.
Ein echter Impuls wäre allein dann zu erwarten, wenn eine unabhängige Organisation über die Trassenvergabe entscheidet. Dann stünde die DB auf gleicher Ebene wie ihre Konkurrenten, und die Trassenpreise im Nahverkehr würden sinken. Indes basiert nur eine der fünf von den Gutachtern vorgeschlagenen Varianten auf einer solchen Konstruktion. Alle anderen gestehen der DB als Besitzerin, Pächterin oder Verwalterin mehr oder weniger große Monopolrechte zu.
Die neue Organisation müsste übrigens auch die Planung der Neubauten übernehmen und dabei möglichst viel Verkehr auf die Schiene holen – statt das Prestigebedürfnis von Politikern zu befriedigen, die gerne lange Tunnel oder schicke Bahnhöfe einweihen. In diesem Sommer hat die Verkehrspolitik eine echte Chance. Wird sie vergeigt, ist das Schicksal des Bahnverkehrs in Deutschland besiegelt.
ANNETTE JENSEN