: Windelgeld für Reiche
Die Familienministerin redet vom Systemwechsel: Arme und arbeitslose Eltern werden schlechter gestellt
VON HEIDE OESTRREICH
Unter den skeptischen Blicken von Opposition und Sozialverbänden hat die große Koalition gestern einen Systemwechsel in der Familienpolitik eingeleitet. Eltern, deren Kinder ab Januar 2007 geboren werden, erhalten dann ein Elterngeld in Höhe von 67 Prozent des vorherigen Einkommens, das mit der Geburt des Kindes wegfällt. Das Geld wird 14 Monate lang ausgezahlt, je zwei davon sind für Mutter oder Vater reserviert (siehe Kasten).
Mit der Ausweitung des Elterngeldes von einst geplanten 12 auf nun 14 Monate nimmt die Koalition in Kauf, dass die ursprünglich anvisierten Kosten von 3,87 Milliarden Euro überschritten werden, obwohl sie beteuert, dieser Rahmen werde eingehalten. „Irgendwas kann da nicht stimmen“, so die Fraktionschefin der Grünen, Renate Künast, und wittert „Taschenspielertricks“ bei der Finanzierung. Familienministerin von der Leyen machte dazu eine andere Rechnung auf, deren Vorteil in ihrer Vagheit liegt: „Wir haben das wohlwissend so beschlossen, weil es dem Staat insgesamt viel besser tut, wenn mehr Kinder geboren werden. Das ist allemal eine positive Rechnung“, verhieß sie. Koalitionsspitzen und Familienministerin erklärten übereinstimmend, dass der Einstieg in einen Systemwechsel gemacht und dies also ein guter Tag für die Familien in Deutschland sei.
Bei dieser Betrachtung fällt allerdings einiges unter den Tisch. Die finanzielle Achterbahn etwa, auf der junge Familien heute nach der Geburt eines Kindes hinabfahren, wird zwar in den ersten 14 Monaten nicht mehr so stark abwärts führen. Doch ist der Absturz da(nach umso härter. Denn dann federt kein Erziehungsgeld mehr den Verdienstausfall ab oder stockt das Arbeitslosengeld auf. Das heute noch zwei Jahre lang gezahlte Erziehungsgeld von 300 Euro fällt nämlich ersatzlos weg.
Und hier liegt der Fehler im Systemwechsel. Dann nämlich müssen beide Eltern wieder arbeiten – und dafür muss eine Kinderkrippe her. Die aber gibt es in vielen Gegenden gar nicht. So fragt FDP-Generalsekretär Dirk Niebel: „Was nützt ein Elterngeld, wenn nach 14 Monaten die Kinderbetreuung nicht funktioniert?“ Und Ekin Deligöz, kinderpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, warnt: „Das Elterngeld kommt zu früh. Wenn die Frauen früher wieder erwerbstätig werden sollen, muss auch die Grundlage dafür da sein, nämlich Krippenplätze.“ In ihrem Wahlkreis in Bayern aber gebe es nur für 0,96 Prozent der Kinder einen Krippenplatz. „Diese Regelung wird auf dem Rücken der Frauen getroffen“, meint Deligöz. Im zweiten Jahr des Kindes sitzen also viele Frauen ohne Elterngeld und ohne Erziehungsgeld zu Hause. Von der Leyen sagte dazu, die Kinderbetreuung werde zügig ausgebaut. Ab 2010 sei ein Rechtsanspruch für einen Platz ab dem zweiten Lebensjahr geplant, sollte der Ausbau bis 2008 nicht vorangekommen sein.
100.000 Kinder und ihre Eltern werden auf jeden Fall die Hälfte ihres bisherigen Erziehungsgeldes mit der neuen Regelung verlieren. Arbeitslose erhalten nur noch ein Jahr lang den Sockelbetrag. Wenn etwa ostdeutsche Eltern nach den 14 Monaten keine Arbeit finden, bleibt ihnen außer ALG II nichts mehr. Der DGB protestiert dagegen: „Wer auf das bisherige Erziehungsgeld angewiesen war, darf mit der Einführung des Elterngeldes nicht schlechter gestellt werden. Hier darf es keine Gerechtigkeitslücke geben“, moniert Ursula Engelen-Kefer gegenüber der taz. Von der Leyen aber hat das so gewollt: Die Eltern hätten einen „Schonraum von 14 Monaten, danach müssen sie für den Unterhalt des Kindes selbst aufkommen. Ansonsten greift der Sozialstaat“, verfügte sie. Es sei klar, dass es „für Transferempfänger eine Reduzierung gibt“, doch damit würde auch die „Schwelle zum Arbeitsmarkt gesenkt“ – so denn einer vorhanden ist, muss man wohl ergänzen.
Unter dem Strich ergibt sich also eine Umverteilung von armen zu reichen Familien. Hatten bisher Paare nur bis zu einem Einkommen von 30.000 Euro im Jahr Anspruch auf Erziehungsgeld, so kommen nun gerade Paare mit einem höheren Verdienst in den Genuss eines hohen Elterngeldes. Auch Alleinverdiener-Ehen werden weiter beglückt: Die nicht erwerbstätige Gattin eines Zahnarztes hat ebenfalls Anspruch auf den Sockelbetrag von 300 Euro. Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, kritisiert also nicht zu Unrecht: „Kinder aus sozial schwachen Familien bleiben Kinder zweiter Klasse.“