: Callis Sittengemälde
Bayer Leverkusen und seine anrüchigen Geldgeschäfte: Unter der Ägide des Managers Reiner Calmund sind fast zwölf Millionen Euro in dunkle Kanäle geflossen. Das Geld ist verschwunden
AUS KÖLN ERIK EGGERS
Mit demonstrativer Gelassenheit nahm Stefan Seitz die neuen Nachrichten zum Fußball unter dem Bayer-Kreuz zur Kenntnis. „Das ist ein Sachverhalt, der längst abgehakt ist“, glaubt der smarte Kölner Anwalt, der Reiner Calmund in dem aktuellen Ermittlungsverfahren verteidigt. Dem ehemaligen Fußballmanager wird Untreue gegenüber seinem ehemaligen Klub Bayer Leverkusen vorgeworfen, ungeklärt ist weiterhin der Verbleib von 580.000 Euro, die Calmund im Juni 2004 an den Gütersloher Spielerberater Volker Graul zahlte. Für Seitz jedenfalls ist der gestrige Bericht des Kölner Stadt-Anzeiger keine Enthüllung, und „für das laufende Verfahren gegen meinen Mandanten spielt das keinerlei Rolle“. Das bündige Fazit des Advokaten lautet: „Das ist völlig unspektakulär.“
Diese Meinung dürfte Seitz indes ziemlich exklusiv haben. Denn das, was nun herausgekommen ist im Zuge der Ermittlungen der Kölner Staatsanwaltschaft, das stellt dann doch eine neue Dimension dar im seltsamen Sittengemälde, das Bayer Leverkusen in den letzten Jahren der Ägide Calmunds abgab. Den Recherchen zufolge ist nämlich der Leiter der Bayer-Revision, der die hundertprozentige Fußballtochter des Konzerns im Jahr 2003 auf Herz und Nieren prüfte, auf erhebliche Unregelmäßigkeiten für die Zeit zwischen 1998 und 2003 gestoßen. Vor allem die Verträge mit südamerikanischen Profis wie Zé Roberto, Franca, Juan oder Robson Ponte, die der uruguayische Spielerberater Juan Figer vermittelte, fand der Revisor offenbar nicht koscher, wie er der Kölner Staatsanwaltschaft in einer Befragung zum Calmund-Verfahren erklärte. „Wofür die in diesen Papieren vereinbarten Gelder gezahlt wurden, habe nicht geklärt werden können“, berichtet der Kölner Stadt-Anzeiger, und dass der Revisor auf strafrechtliche Konsequenzen aufmerksam gemacht habe. Daraufhin wurden die Beträge der in Frage stehenden Verträge addiert. Heraus kam kam eine Summe von – 11,85 Millionen US-Dollar, die „auf lateinamerikanische Konten“ geflossen waren, „die Figer zuzuordnen sind“.
Der Konzern und die Fußballtochter jedenfalls fanden diesen Vorgang spektakulär genug, um sich am 18. Mai 2004 beim Finanzamt Leverkusen selbst anzuzeigen. Mit dieser „strafbefreienden Erklärung“ profitierte der Klub vom damals geltenden Amnestiegesetz, das reuigen Steuersündern nachträglich Straffreiheit zusicherte. Da Bayer Leverkusen die genaue Verwendung der knapp zwölf Millionen Dollar nicht nachvollziehen konnte, habe man sich laut Holzhäuser „vorsorglich entschlossen, die Zahlungen beim Finanzamt abzumelden und sicherheitshalber nachträglich zu versteuern“. Calmund-Anwalt Seitz bestätigte diesen Vorgang: „Calmund hat das selbst mit unterschrieben, das war eine reine Vorsichtsmaßnahme.“ Für Meinolf Sprink, den Sportbeauftragten des Konzerns, ist dieses Thema „gesondert zu betrachten und final abgeschlossen“.
Wofür die zwölf Millionen am Ende geflossen sind, fällt in den Bereich der Spekulation und wird wohl nie aufgeklärt werden. Im Jahr 2003, vermuteten Klub-Insider, seien damit verdeckte Gehaltszahlungen an südamerikanische Profis veranlasst worden. Reiner Calmund wehrte sich schon im Juni 2004 gegen den damals geäußerten Verdacht, er selbst habe bei den Transfers von Franca und Marquinhos profitiert. „Wenn mir hier ein Krümel angedichtet wird, dann werde ich zur Wildsau“, sagte der Manager angesichts der brisanten Gerüchte. Anfang Juni 2004 – also einen Monat nach der Selbstanzeige – hatte der Klub den Manager, der mit seinem rheinischen Prachtleib wie kein anderer über 27 Jahre hinweg den Werksklub verkörpert hatte, zur Überraschung der Fachwelt in die Pension geschickt. Damals hatte Calmund gesundheitliche Gründe für seinen tränenreichen Rücktritt angegeben.
Die damals schon mysteriösen Umstände dieser Demission stehen vor dem Hintergrund der dubiosen Finanztransaktionen in einem neuen Licht. Denn laut Konzern-Angaben war in erster Linie Reiner Calmund, der damals die sportlichen Geschäfte führte, dafür verantwortlich. „Die wesentlichen Gespräche mit den südamerikanischen Spielerberatern sind vom Sport-Geschäftsführer geführt worden“, sagte Bayer-Sportbeauftragter Meinolf Sprink. Der heute allein verantwortliche Wolfgang Holzhäuser, der seinerzeit noch als Co-Geschäftsführer für die Finanzen zuständig war, habe als der „Finanzgeschäftsführer eine etwas schwierige Position“ gehabt, „da ist er immer hinterhergehechelt“. Mit neuen Enthüllungen zum damaligen Klub-Innenleben, die das Image des Konzerns und des Klubs zuletzt nicht wenig beschädigten, rechnet Sprink nicht: „Das war das letzte Detail.“