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Archiv-Artikel

Ein teuflischer Pakt

Die skandalöse Verharmlosung der Tschernobyl-Folgen durch IAEA und WHO basiert auf einem Abkommen aus dem Jahre 1959

GENF taz ■ „Schönfärberei“, „nachweisliche Falschinformationen“ und „systematische Verharmlosung“ der Tschernobyl-Folgen – so beurteilen Greenpeace, die Internationale Ärztevereinigung zur Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und andere atomkritische Organisationen die Tschernobyl-Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Atomenergieagentur (IAEA). Die Empörung nach der Veröffentlichung im vergangenen September war vor allem deshalb so groß, weil bekannt ist, dass die WHO weit gravierendere Daten und Erkenntnisse über Tschernobyl besitzt. Doch die hält sie unter Verschluss.

Die Verharmlosung durch die beiden UNO-Organisationen hat Methode. Bereits zum 5., 10. und 15. Jahrestag des Reaktorunfalls waren IAEA und WHO mit bagatellisierenden und irreführenden Äußerungen an die Öffentlichkeit getreten.

Der Grundstein für die unheilige Kooperation der beiden UNO-Organisationen zum Schaden der Menschheit wurde Ende der Fünfzigerjahre gelegt. Zuvor hatte die WHO im August 1956 eine Konferenz durchgeführt, auf der zwanzig namhafte Genetiker ihre Forschungsbefunde darlegten und vor den Konsequenzen der „friedlichen Nutzung“ der Atomenergie warnten. Zu ähnlich atomkritischen Ergebnissen kam auch der erste Weltkongress für Genetik, der im gleichen Jahr in Dänemark stattfand. Damals sah sich die WHO noch uneingeschränkt ihrem Gründungsauftrag zur „umfassenden Aufklärung und zur Förderung einer klaren Meinungsbildung in der Bevölkerung hinsichtlich der Gesundheitsprobleme“ verpflichtet.

Bei der IAEA sorgten die beiden Kongresse für große Unruhe. Schließlich ist ihr wesentlicher Auftrag „die Beschleunigung und die Förderung der Atomindustrie für den Frieden, für die Gesundheit und für das Wohlbefinden in der ganzen Welt“. In dreijährigen Verhandlungen mit der WHO setzte die IAEA schließlich 1959 ein Abkommen durch, in dem eine „enge gegenseitige Zusammenarbeit“ und zugleich „Rücksicht“ auf die jeweiligen Ziele und Interessen der anderen Organisation vereinbart wurden. Ausdrücklich überließ die WHO der IAEA in diesem Abkommen auch die „Erforschung“ und „Überwachung“ eventueller gesundheitlicher Risiken der Atomenergie.

Die Aufgabe, diese Risiken herunterzuspielen, nimmt auch das 1955 gegründete Wissenschaftliche Komitee der UNO für die Effekte der atomaren Strahlung (UNSCEAR) wahr. Die 21 Mitglieder werden nicht etwa durch einen Fachkongress unabhängiger Wissenschaftler gewählt. Über die Besetzung bestimmen vielmehr die Regierungen der fünf ursprünglichen Atomwaffenstaaten (USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien) sowie 16 weitere Länder, die Atomkraftwerke betreiben.

In ihrem Abkommen von 1959 „erkennen die WHO und die IAEA an, dass es notwendig sein kann, restriktive Maßnahmen zu treffen, um den vertraulichen Charakter untereinander ausgetauschter Informationen zu wahren“. An diesen „Knebelvertrag“, wie ihn IPPNW bezeichnet, hat sich die WHO bis heute gehalten. Sie verstößt damit seit fast 50 Jahren in schwerwiegender Weise gegen ihren Gründungsauftrag.

Das wurde ebenfalls deutlich, als die WHO aufgefordert wurde, die gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von urangehärteter Munition durch die US-Streitkräfte in den Kriegen gegen Irak (1991 und 2003) sowie gegen Serbien (1999) zu untersuchen. Obwohl allein im ersten Irakkrieg über 250.000 US-amerikanische, britische und kanadische Soldaten und eine bis heute nicht genau erhobene Zahl von IrakerInnen schwerwiegende und nach wie vor ungeklärte Gesundheitsschäden erlitten, hat die WHO entsprechende Untersuchungen mit Rücksicht auf das Abkommen mit der IAEA bis heute verweigert.

ANDREAS ZUMACH