: Last Exit Teheran
Der UN-Sicherheitsrat hat dem Iran eine Frist gesetzt, die Urananreicherung zu stoppen. Die Europäer müssen diese Zeit nutzen, um auf erneute Verhandlungen zu drängen
Auf seiner Sitzung Ende März hat der UN-Sicherheitsrat den Iran aufgefordert, innerhalb von 30 Tagen sein Programm zur Urananreicherung auszusetzen. Seitdem droht ein Showdown nach bekanntem Muster: Entweder der Iran unterwirft sich diesem Ultimatum, oder er muss mit militärischen Schlägen rechnen.
Eine Unterwerfungsgeste des Iran kann aber schon aus historischen Gründen ausgeschlossen werden. Denn die iranische Geschichte der letzten 50 Jahre liest sich, jedenfalls aus iranischer Perspektive, als eine Geschichte der fortgesetzten Einmischung durch die USA: vom Sturz des populären Ministerpräsidenten Mossadegh, bei dem die CIA ihre Finger im Spiel hatte, über die Unterstützung der Schah-Diktatur durch die USA bis zur Schützenhilfe für Saddam Hussein bei dessen acht Jahre währenden Krieg gegen den Iran von 1980 bis 1988. In diesem Krieg, der gerade erst 18 Jahre zurückliegt, haben mehr als eine Million Menschen ihr Leben verloren. Im Iran ist diese Geschichte deshalb so präsent wie in den USA das Vietnam-Trauma.
Der Iran hat daher guten Grund zu der Befürchtung, dass es die Bush-Regierung mit ihrer Militärschlag-Drohung ernst meint. Obwohl eine große Mehrheit der Iraner eine positive Haltung zur amerikanischen Gesellschaft hat, gilt das nicht im gleichen Maße für die US-Politik. Eine Unterwerfung unter deren Maximalforderungen ist für sie daher völlig ausgeschlossen.
Dass sich der Iran gegen die Bedrohung von außen wehrt, gehört zu seinen in der UN-Charta verbrieften Grundrechten. In der Frage, ob und wann genau der Iran frühestens in den Besitz einer Atombombe gelangen könnte, gehen die Meinungen der verschiedenen Geheimdienste allerdings auseinander: Die meisten Experten in Israel, Europa und nicht zuletzt in US-amerikanischen Sicherheitskreisen sind davon überzeugt, dass der Iran zwischen fünf und zehn Jahren benötigt, um über eine einsatzfähige Atombombe zu verfügen. Andere dagegen gehen von weniger als einem Jahr aus, meinen damit aber bereits den Besitz von Ausrüstung, Technologie beziehungsweise Know-how für den Bau einer solchen Bombe, die insbesondere von israelischen Sicherheitsexperten als existenzielle Bedrohung betrachtet wird. Schon damit wäre für sie die rote Linie überschritten, die ein militärisches Eingreifen der Amerikaner (und im Notfall der Israelis selbst) unabwendbar mache.
Dieses Szenario geht mit der Überzeugung einher, dass die iranische Führung zu einem echten Kompromiss ohnehin nicht fähig ist, sondern durch militärische Drohung oder Militärschläge klein gehalten oder gar beseitigt werden müsse. Das iranische Regime, so das Fazit, verstünde nur die Sprache der Gewalt, und eine entsprechende Lösung der Krise innerhalb der nächsten sechs (!) bis 18 (!) Monate sei dringend geboten. Da der Iran aber längst zumindest zum Teil über das nötige Wissen zum Bau einer Atombombe verfügt, könnte das den einen oder anderen aber auch dazu verleiten, dies jetzt schon als hinreichenden Grund zu deuten, um für begrenzte oder umfassende Bombardierungen der vermuteten Anlagen oder – nach zu erwartenden Gegenschlägen – gar der „gesamten industriellen Infrastruktur“ des Landes zu plädieren.
Dieses Szenario deckt sich mit dem politischen Denken in Teilen der Bush-Regierung und ihrer neokonservativen Paladine. Manche davon, wie Dick Cheney und der radikale Flügel der Neokonservativen, sprechen sich deshalb schon seit einiger Zeit für Militärschläge und Undercover-Operationen gegen den Iran aus und haben einen gewaltsamen Regimewechsel vor Augen.
Die Angst vor einer atomaren Aufrüstung des Iran und der Empörung über die radikale Rhetorik seines Präsidenten Ahmadinedschad werden dabei genutzt, um eine drohende Gefahr an die Wand zu malen, die dringend gebannt gehört. Wenn es gelingt, diese Mischung aus angeblicher und realer Bedrohung in den Medien zureichend zu dramatisieren und aufzubauschen und gleichzeitig das iranische Regime zu isolieren und als existenzielle Bedrohung zu brandmarken, dann wäre eine Konstellation hergestellt, die den Ruf zur Zerstörung aller entsprechenden Anlagen im Iran und damit einen neuen, dann noch größeren Krieg der Bush-Regierung rechtfertigen soll.
Noch allerdings ist die Bush-Administration in ihrer Haltung zu möglichen Militärschlägen gespalten. Diese Ambivalenz ist aufgrund der unabsehbaren Konsequenzen erklärlich. Aber der innenpolitische und internationale Druck, zu einer Entscheidung zu kommen, nimmt zu.
Dick Cheney und der radikale Flügel der Neokonservativen werben aus tiefer ideologischer Überzeugung dafür, die „Zentralachse des Bösen“ auszuschalten: Sie sind true believer, wie sie der Ex-CIA-Agent und Publizist Marc Reuel Gerecht nennt. Andere, etwa im State Department, optieren dagegen.
Diese Situation bietet noch die Chance für einen politischen Ausweg aus der Krise, sofern sie von einer kritischen Öffentlichkeit und Politik genutzt werden. Um einen Krieg in Jahresfrist oder die Atombombe in den Händen iranischer Hardliner in fünf bis zehn Jahren zu vermeiden, müssen deshalb echte Verhandlungen geführt werden. Das ist auch eine Aufgabe für die Europäer, nicht zuletzt für die Bundesregierung. Vorschläge dazu liegen jedenfalls vor: zum einen der Vorschlag der russischen Regierung, in ihrem Land angereichertes Uran im Auftrag des Iran zu produzieren und für eine vereinbarte Zeit zu garantieren, ergänzt um eine Nichtangriffserklärung oder vergleichbare Sicherheitsgarantien seitens der USA. Den zweiten Vorschlag hat die International Crisis Group im Februar unter Beteiligung des langjährigen Schweizer Botschafters im Iran, Tim Guldimann, unterbreitet: Er gesteht dem Iran eine verzögerte und begrenzte Urananreicherung zu, als Ausdruck seines Rechts auf eine friedliche Nutzung der Atomenergie, aber unter der Kontrolle der IAEO und ergänzt um die Lockerung bestehender Sanktionen sowie den Verzicht auf militärische Drohungen.
In jedem Fall müssten sich die EU wie auch die Amerikaner von ihren Maximalpositionen wegbewegen, wenn es ihnen tatsächlich darum geht, eine Eskalation und eine militärische Konfrontation zu vermeiden. Zwei Dinge sind nötig, um den Iran dazu zu bringen, die Anreicherung erneut auszusetzen: Zum einen muss dessen Recht auf eine Anreicherung zu friedlichen Zwecken anerkannt werden; zum anderen sollte die Bereitschaft signalisiert werden, über diese Anreicherung auch zu verhandeln. Warum sollte der Iran denn sonst an den Verhandlungstisch zurückkehren, um dort doch nur mit den gleichen Maximalpositionen konfrontiert zu werden ?
Schon im Februar hat sich der oberste Revolutionsführer Chamenei (der in dieser Frage viel zentraler ist als der iranische Präsident) mit seinen Beratern für einen Verhandlungskurs entschieden. Die Bush-Regierung wird man nun drängen müssen, sich dieser iranischen Bereitschaft gegenüber kompromissbereit zu zeigen. HAJO FUNKE