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Archiv-Artikel

Hinweis auf Leukämie durch Atomunfall

In der Elbmarsch erkranken mehr Kinder an Blutkrebs als anderswo. Forscher fanden jetzt Spuren von angereichertem Uran im Boden. Sie könnten von früheren Experimenten mit einem neuen Brennstoff im Forschungsreaktor Geesthacht stammen

VON JÜRGEN VOGES

Warum erkranken Kinder in der Elbmarsch so häufig an Leukämie, wie kaum an einem anderen Ort? Ein Unfall im atomaren GKSS-Forschungszentrum im schleswig-holsteinischen Geesthacht im September 1986 könnte die späteren Leukämieerkrankungen ausgelöst haben. Zumindest wird diese These nach Auffassung der Bürgerinitiative gegen Leukämie in der Elbmarsch untermauert von neuen Untersuchungen. Die Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), unabhängige Experten und Vertreter der Bürgerinitiative stellten gestern Analysen von Bodenproben aus der Region vor, bei den weitere künstliche Radionuklide nachgewiesen wurden.

In den betroffenen Gebiet, mit der Samtgemeinde Elbmarsch am niedersächsischen und zwei Atomanlagen, dem GKSS-Forschungszentrum und dem AKW Krümmel, am schleswig-holsteinischen Elbufer, sind seit 1990 mittlerweile insgesamt 17 Kinder an Leukämie erkrankt. Erst vor gut einem Monat informierte das Deutsche Kinderkrebsregister in Mainz über einen weiteren Ende vergangenen Jahres aufgetretenen Fall. Auch das Kinderkrebsregister sprach von einer „deutlichen Häufung“, für die man aber in einer Vielzahl von Untersuchungen keine Erklärung gefunden habe.

Die jetzt analysierten Bodenproben wurden Ende 2004 an einer Schule in der Nähe des GKSS-Forschungszentrums und an einem Denkmal in der Gemeinde Elbmarsch genommen und durch die Internationale Sacharov-Umweltuniversität in Minsk analysiert. Dabei wurden neben angereichertem Uran verschiedene Thoriumisotope entdeckt. Bereits in der Vergangenheit waren in dem Gebiet Spuren von Plutonium und Americium nachgewiesen worden, die nach Meinung unabhängiger Experten ebenfalls nicht auf den Unfall von Tschernobyl zurückgehen können.

Unstrittig ist seit langem, dass es im GKSS-Forschungszentrum im September 1986 einen Brand gab, dass dadurch dort eine Messstation ausfiel und dass zeitgleich im benachbarten AKW eine erhöhte Radioaktivität gemessen wurde. Die Bürgerinitiative und ihre Experten, die lange Zeit das AKW für die Leukämiehäufung verantwortlich gemacht hatten, sahen dann einem Unfall bei militärischen Experimenten als Ursache an.

Auf Grundlage der neuen Bodenanalysen gehen sie nun von einem neuen Unfallszenario aus. Offenbar habe man bei der GKSS seinerzeit mit einem Kernbrennstoff experimentiert, der vor allem Thorium und angereichertes Uran enthalten habe, sagte die Bremer Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake. Dabei könne es sich etwa um einen missglückten Versuch im Rahmen der Entwicklung einer neuen Reaktorlinie gehandelt haben. Thorium sei aus der Medizin als Leukämie auslösendes Element bekannt, betonte Schmitz-Feuerhake.

Die später erkrankten Kinder seien der Strahlenbelastung zum Teil selbst ausgesetzt gewesen. Bei anderen später erkrankten Kindern seien die Keimzellen von Vätern und Müttern geschädigt worden .