: Heute Ruhetag
Was wäre, wenn einen Tag mal überhaupt nichts wäre. Das wär doch mal was
Was wäre, wenn nichts wäre? Was wäre, wenn nichts passierte? Wenn sich nichts ereignete? Wenn nichts geschähe?
Was wäre, wenn nicht zu lesen wäre: „Schweinsteiger – Was will die Polizei von ihm?“ Was wäre, wenn nicht zu hören wäre: „Das ist doch Anlass, das letzte bisschen Ansatz Wachstum auch noch konkret totzutreten.“?
Was wäre, wenn nicht zu sehen wäre: ein Mann, dessen Lächeln breit ist, in dessen Hintergrund ein Börsenbankett zu sehen ist, unter dessen Lächelgesicht ein Band mit Aktienkursen läuft?
Dann wäre nicht nichts. Dann wäre etwas, weil etwas ist, weil vieles andere nicht wäre. Das wäre vielleicht gut.
Gut wäre eine Zeit ohne alles, was sich ereignen lässt, ohn e dass es sich ereignet. Gut wäre, wenn Ereignisse nicht wären. Wenn die Ereignisse, und täten sie’s nur einen Tag lang, einmal Ruhe gäben, könnte sich auch etwas ereignen, das nicht nichts wäre.
Es könnte etwas sein, was noch nicht gewesen ist, was noch nicht Ereignis geworden wäre. Es könnte etwas sein, weil es sein dürfte – und nicht schon Ereignis gewesen wäre.
Der Gedanke ist gar nicht kompliziert. Es ist vielleicht ein unnützer Gedanke, aber es ist ein nützlicher Gedanke. Er hilft vieles ertragen, dieser Gedanke an eine Zeit, an eine Auszeit ohne Ereignisse. Nicht an eine Auszeit am Strand von Barbados oder Barcelona, sondern in den Häusern Hamburgs oder in den Kneipen Recklinghausens oder am Tisch, den Freunde deckten.
Dieser Gedanke ist einfach. Dieser schlichte, schöne Gedanke: keine Schlagzeile, keine Nachricht, keine Information, kein Kommentar. Einmal nichts von alledem, einmal nichts hören, nichts lesen, nichts sehen, nichts wissen müssen von einer Welt, in der keine Welt mehr ist, weil diese Welt nichts hört, nichts liest, nichts sieht, sondern immer nur spricht – von Ereignissen, Geschehnissen, vom ewigen, geschichtslosen Passiert-und-notiert.
Was wäre, wenn nichts wäre? Wenn die Radios schwiegen, das Fernsehen erlösche, die Zeitungen ihr Erscheinen einstellten, für einen Tag? Nur für einen, einen beseelt ruhigen Tag? Für einen Tag, der dem alten Wort „Ruhetag“, das man einmal auf Blechschildern lesen konnte, die in gardinengerahmten Fenstern verstaubender Cafés in Amberg oder Lüdenscheid hingen, neuen Bedeutungsglanz verliehe?
Wäre das nicht was? Das wäre doch nicht nichts, oder nicht?
JÜRGEN ROTH