: Sind Zwischenlager verfassungswidrig?
Renommierter Staatsrechtler argumentiert, dass atomare Zwischenlager Generationengerechtigkeit verletzen
GUNDREMMINGEN taz ■ Wenige Tage vor dem Energiegipfel bei Kanzlerin Angela Merkel sorgt ein Rechtsgutachten des renommierten Leipziger Staatsrechtlers Christoph Degenhart für Aufsehen. Er kommt auf knapp 60 Seiten zu dem Schluss, dass die atomaren Zwischenlager an den Kernkraftwerken verfassungswidrig sind.
Vor knapp einer Woche hatte die Werksleitung des größten deutschen Atomkraftwerks in Gundremmingen vor 180 geladenen Gästen die fast fertige, 30 Millionen Euro teure Castor-Lagerhalle präsentiert. Noch in diesem Sommer sollen die ersten abgebrannten Brennelemente hier eingelagert werden.
Dieses Vorhaben hält Degenhart für nicht zulässig. „Ich sehe einen Verstoß gegen die Schutzpflicht des Staates für die Grundrechte“, erklärt der Staatsrechtsprofessor. „Das gilt auch für die Grundrechte nachfolgender Generationen.“ Degenharts wesentlicher Einwand: „Hier wurde ein Zwischenlager genehmigt, obwohl noch nicht absehbar ist, wie die Entsorgung auf Dauer gelöst werden kann.“ Die Schutzpflichten insbesondere des Artikels 2, Absatz 1 des Grundgesetzes forderten – auch im Sinne der Generationenverantwortung (Art. 20a GG) – eine gesicherte atomare Entsorgung.
Vor allem die rot-grüne Gesetzesnovelle von 2002 hält der Staatsrechtsprofessor in Teilen für verfassungswidrig, weil sie die Zwischenlagerung von hochradioaktivem Atommüll an den Kraftwerksstandorten ermöglicht. Dabei gilt Degenhart eher als ein konservativer Gutachter. Er selbst sagt von sich: „Ich zähle mich nicht zu den Atomkraftgegnern.“
In einem bundesweit ersten Prozess um die Sicherheit atomarer Zwischenlager hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Januar mehrere Klagen abgewiesen. Anwohner, aber auch eine Gemeinde und ein Wasserzweckverband hatten eingewandt, dass die Zwischenlager von Gundremmingen, Grafenrheinfeld sowie Isar I und II nicht ausreichend vor Terroranschlägen geschützt seien. Allein in Gundremmingen sollen einmal bis zu 192 Castoren eingelagert werden. Doch das Münchner Gericht hatte die Klagen in allen Punkten als unbegründet abgewiesen und nicht einmal eine Revision dagegen zugelassen.
Gegen dieses Münchner Urteil ließe sich eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht einlegen. „Dafür bietet das Degenhart-Gutachten eine hervorragende Grundlage“, ist Brigitte Dahlbender überzeugt. Die stellvertretende Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz in Deutschland (BUND) fordert vor dem Energiegipfel von Merkel: „Sie muss unbedingt dieses Gutachten berücksichtigen.“ Die Zwischenlager dürften nicht weiter gebaut und bestückt werden.
Das Degenhart-Gutachten wurde von den unterlegenen Klägern gegen die bayerischen Zwischenlager in Auftrag gegeben. Ihr Sprecher Raimund Kamm ist inzwischen wieder optimistisch: Er glaubt, dass die Studie letztlich dazu führen wird, dass die 12 deutschen Atomzwischenlager nicht betrieben werden dürfen. Man könne nicht weiterhin Tag für Tag in Deutschland fast eine Tonne Brennelementemüll herstellen und trotzdem nicht wissen, wo sie gelagert werden sollen. „Seit 45 Jahren laufen in diesem Land Atomkraftwerke, ohne dass es eine Entsorgung gibt. Das kann doch nicht rechtens sein.“
KLAUS WITTMANN