: Bochum bittet zur Musterung
Rund 200 Bochumer Hartz IV-Empfänger müssen beim Amtsarzt antreten. Der Grund: Sie haben ein Attest, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht umziehen können. Das will die Bochumer Verwaltung jedoch noch mal geprüft wissen
BOCHUM taz ■ Hartz IV-Empfänger müssen in Bochum neuerdings zur Musterung. Zumindest ein Teil. Rund 1.400 Betroffene hat die Arbeitsgemeinschaft für die Grundsicherung Arbeitsuchender (ARGE) in den vergangenen Monaten dazu aufgefordert, entweder Mietkosten zu senken oder in eine günstigere Wohnung umzuziehen. Etwa 200 davon haben daraufhin ein ärztliches Attest vorgelegt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht umziehen können. Deshalb sollen sie nun von einem Amtsarzt auf ihre Umzugstauglichkeit hin überprüft werden.
200 Fälle für den Amtsarzt. Heide Ott, Sozialamtsleiterin in Bochum, brachte diese Zahl am vergangenen Donnerstag bei einer Podiumsdiskussion im dortigen Gewerkschaftshaus in Umlauf. Die ARGE hält sich jedoch bedeckt: „Ich will das weder bestätigen, noch dementieren“, sagt Stephan Kuckuk. Der ARGE-Sprecher räumt allerdings ein, dass jeder, der ein Attest vorlege, noch einmal beim Amtsarzt vorstellig werden muss. Der jeweilige Sachbearbeiter könne so ein Attest schließlich nicht alleine beurteilen, so Kuckuk.
Mit dieser Vorgehensweise ist Bochum allein auf weiter Flur. In anderen Städten werden Atteste zwar auch durch Amtsärzte geprüft, doch nur vereinzelt: „Wir haben bloß eine handverlesene Anzahl zum Amtsarzt geschickt“, sagt zum Beispiel der Leiter der Düsseldorfer ARGE, Peter Lorch. Und Jürgen Krisement von der ARGE in Gelsenkirchen sagt, dass es für die Überweisung zum Amtsarzt keine „Pauschalrichtlinie“ gebe. Es komme immer auf den jeweiligen Einzelfall an.
Aber wann ist man überhaupt umzugsuntauglich? Und was passiert dann? Auch dies ist stets im Einzelfall zu entscheiden. Wer seit Jahren mit seiner Bandscheibe kämpft, kann nicht gezwungen werden, Kisten zu schleppen. Dann fordert die ARGE, so der Bochumer Sprecher Kuckuk, dass der Betroffene den Umzug mit Hilfe von Nachbarn und Verwandten organisiert. Klappt auch das nicht, werden die Kosten für ein Umzugsunternehmen von der ARGE getragen. Schwieriger wird es im Fall einer psychischen Störung in Folge eines Umzugs. Denn auch das kann sein: Dass jemand einen Schaden davon tragen würde, müsste er sein Lebensumfeld verlassen, in dem er schon seit vielen Jahren lebt.
Für Rose Richter von der Arbeitsloseninitiative Werkschlag ist die Verfahrensweise der Bochumer Verwaltung nichts Neues. Zur kollektiven Überweisung zum Amtsarzt sagt sie: „In Bochum wird viel zu oft pauschalisiert und nicht das individuelle Schicksal betrachtet.“ Sie habe schon in der Vergangenheit die Erfahrung gemacht, dass in der Ruhrgebietsstadt sehr rigide mit Arbeitslosen umgegangen werde. Nicht seitens der Politik, sondern seitens der Verwaltung. Und dass die Menschen überhaupt umziehen sollen, dafür findet Richter dann bloß ein einziges Wort: „entwürdigend“.
BORIS R. ROSENKRANZ