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Archiv-Artikel

Karlsruhe korrigiert Kirchhof-Kurs

Urteil: Fiskus darf von Reichen mehr als fünfzig Prozent des Einkommens kassieren

FREIBURG taz ■ Der Fiskus darf gut verdienenden Bürgern auch mehr als die Hälfte ihres Einkommens abknöpfen. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem gestern bekannt gemachten Beschluss. Es korrigierte damit seine eigene Rechtsprechung aus dem Jahr 1995, die stark vom damaligen Verfassungsrichter Paul Kirchhof geprägt worden war.

Kläger war ein Unternehmerehepaar aus Nordrhein-Westfalen, das 1994 umgerechnet rund 310.000 Euro verdient hatte. Für die Einkommensteuer verlangte der Fiskus 130.000 Euro, außerdem fiel noch Gewerbesteuer in Höhe von rund 60.000 Euro an. Insgesamt musste das Ehepaar also mehr als sechzig Prozent seines Einkommens an den Staat abtreten.

Das wollten die beiden Kläger, die vom neoliberalen Arbeitskreis selbstständiger Unternehmer (ASU) unterstützt wurden, aber nicht akzeptieren. Sie beriefen sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995. Damals ordnete Karlsruhe eine Reform der Erbschafts- und Vermögenssteuer an und machte dem Gesetzgeber gleich allerlei Vorgaben. So müsse die Gesamtsteuerbelastung der Bürger „in der Nähe einer hälftigen Teilung“ bleiben.

Entwickelt hatte diesen Halbteilungsgrundsatz der damals federführende Richter Paul Kirchhof. Zu Grunde lag ein simples Wortspiel: Von der Aussage im Grundgesetz, Eigentum solle zugleich auch der Allgemeinheit dienen, änderte Kirchhof flugs das „zugleich“ in ein begrenzendes „zu gleichen Teilen“.

Doch schon 1999 meuterte der Münchener Bundesfinanzhof (BFH), das höchste deutsche Finanzgericht. Karlsruhe habe den Halbteilungsgrundsatz nur als unverbindliche Nebenbemerkung geäußert, es sei kein „tragender Grund“ des Urteils zur Vermögenssteuer gewesen.

Gegen diese BFH-Entscheidung zog das Unternehmerehepaar nach Karlsruhe – ohne Erfolg. Dem Grundgesetz könne keine zahlenmäßig konkrete Obergrenze der Besteuerung entnommen werden, erklärte jetzt der inzwischen völlig anders zusammengesetzte Zweite Senat des Verfassungsgerichts. Kirchhof war bereits vor sechs Jahren als Richter ausgeschieden.

Die Karlsruher Entscheidung könnte neue Bewegung in die Diskussion um die Wiedereinführung der Vermögenssteuer bringen. Unter Berufung auf den Halbteilungsgrundsatz war die Vermögenssteuer von vielen Politikern als verfassungwidrig abgelehnt worden (Az. 2 BvR 2194/99). CHRISTIAN RATH