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Archiv-Artikel

Aids-Pille für Reiche

Ärzte ohne Grenzen fordern, dass US-Firma neues HIV-Medikament für Entwicklungsländer billiger abgibt

BERLIN taz ■ Menschen in armen Ländern werden die neuesten HIV-Medikamente weiter vorenthalten, kritisierte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen gestern in Berlin.

Aktuelles Beispiel ist die neue Version des HIV-Medikaments Kaletra des US-amerikanischen Pharma-Unternehmens Abbott. Das Mittel wird in der HIV-Behandlung der zweiten Generation eingesetzt, wenn der Körper gegen die Medikamente der ersten Generation resistent ist. Die bisherige Version des Medikaments muss gekühlt gelagert und zu den Mahlzeiten eingenommen werden – ein großes Hindernis gerade in tropischen Entwicklungsländern. Die neue Version von Kaletra ist dagegen hitzeresistent.

Abbott hat das neue Medikament im November 2005 auf den US-amerikanischen Markt gebracht, und im Moment läuft die Registrierung für Europa. Erst danach soll die Zulassung des Medikaments in ärmeren Ländern beantragt werden.

„Für diese Verzögerung gibt es keinen vernünftigen Grund“, meint Tido von Schön-Angerer von Ärzte ohne Grenzen. Er vermutet, dass das Unternehmen ökonomisch kein Interesse an den finanzschwachen Märkten armer Länder habe. „International gibt es keine gesetzlichen Verpflichtungen für Pharmakonzerne, neue Medikamente für jeden zugänglich zu machen“, moniert Schön-Angerer.

In den USA kostet Kaletra knapp 10.000 US-Dollar pro Jahr und Patient. Das alte Medikament bot der Pharmakonzern freiwillig für 500 US-Dollar in den ärmsten Ländern der Welt an. In Schwellenländern wie Thailand oder Guatemala kostete es 2.700 US-Dollar.

Zahlreiche Hilfsorganisationen und Wissenschaftler forderten das Unternehmen gestern in einem offenen Brief auf, die Registrierung des Medikaments in Entwicklungsländern voranzutreiben. Von Abbott selbst lag bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme vor.

Inzwischen hat das Unternehmen in Indien ein Patent auf Kaletra beantragt. In Indien werden erfahrungsgemäß neue Medikamente schnell kopiert. „Das ist paradox“, meint Schön-Angerer, „die Pharmakonzerne bieten die Medikamente einerseits nicht zu einem vernünftigen Preis an, patentieren sie aber andererseits.“ ANNA DOBELMANN