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Archiv-Artikel

Echte und unechte Modernisierer

In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt bemühen sich die Kontrahenten, mit Schule und Hochschule bei den Wählern zu punkten. Die taz stellt exemplarisch drei der Matadore auf den Prüfstand: Günther H. Oettinger (CDU), Jürgen Zöllner (SPD) und Jan-Hendrik Olbertz (CDU)

Von CIF

Günther Oettinger: Trickreicher Modernisierer

Günther Oettinger streckt allen, die in der Nähe des Podiums aufkreuzen, die Hand hin. Unterschiedslos packt er zu. Der baden-württembergische Ministerpräsident ist ein schwäbischer Macher. Und ein trickreicher Manager der Macht. Oettinger hat viele Jahre lang darauf gewartet, seinen Vorgänger Ernst Teufel als Landesvater zu beerben. Als es nicht recht klappen wollte, hat er ein wenig nachhelfen lassen. Die Fouls, die andere dann gegen Teufel begingen, hat er so öffentlich wie unengagiert missbilligt. Kaum war er Ministerpräsident, hat der 52-Jährige seinem Hightech- und Boomland einen überfälligen Kurswechsel verordnet – er hat Bildung zum Megathema erklärt. Freilich überzeichnet Oettinger sein Engagement rhetorisch gern ein wenig.

Traditionalist Teufel war ein Bollwerk gegen Einmischungen des Bundes. Modernist Oettinger geht damit clever um. Er entwindet dem Bund etwa das Ganztagsschulprogramm, indem er es kurzerhand zu seinem eigenen erklärt. Und pünktlich zur Wahl hat der Jurist und Volkswirt wieder einen rhetorischen Coup vorbereitet – die Überwindung des Studentenansturms. Um die Botschaft unters Volk zu bringen, hat Oettinger einen Kongress seiner Landesregierung an der Uni Stuttgart ausgerufen. Studenten haben keinen Zutritt.

Das gefällt dem Mann mit der beinahe vogelähnlichen Gesichtsform. Seine Sprechweise gleicht eher zustoßenden Schnabelhieben als einer Rede. Abgehackt, immer wieder schnelle, unartikulierte Worte hinwerfend, spricht Oettinger, nachdem er viele Fragen hat vorbeiziehen lassen, die allerlei Hochschulexperten an ihn richten. Dennoch ist Oettingers Rede beeindruckend – weil sie einen voll besetzten Hörsaal düpiert. All die Rektoren, die Fachleute, die Unternehmer und Geschäftsführer aus der Region sind gekommen, weil sie hören wollen, wie er den 30-prozentigen Zuwachs an Studienbewerbern bewältigen will. Doch von Oettinger dazu – kein Wort.

10, 15 Minuten referiert der Ministerpräsident ungerührt nicht etwa über Unis, sondern über die Bildungsphase zwischen drei und zehn Jahren. Er zählt die Wohltaten seiner Regierung auf. Mehr Ganztagskitas, mehr Lehrer, besseres Lernen und, und, und. Im Saal darüber kein Murren, keiner der rund 500 Anwesenden verkürzt die ausschweifende Themaverfehlung. Erst als Oettinger insinuiert, der Bund sei die treibende Kraft gewesen, sich via Föderalismusreform aus den Bildungsangelegenheiten der Länder zurückzuziehen, wagt es jemand, diesem offenkundigen Unsinn zu widersprechen. Aber Oettinger kann auch härter. „Wir werden nicht auf Knien bettelnd nach Berlin rutschen. Wäre ich im Saarland, würde ich anders reden, aber ich bin in Baden-Württemberg Ministerpräsident“, sagt er stolz, als sei er der Häuptling eines Indianerstamms in den Schwarzwaldbergen und nicht der Ministerpräsident einer der blühendsten Industrieregionen Europas.

Was der Ministerpräsident dann zum Thema zu sagen hat, ist solide, ein wenig verzwickte Regierungstechnik. „30 Prozent mehr Landesgeld, das kriegen wir nicht hin“, so wehrt er zu hohes Anspruchsdenken ab, Baden-Württemberg könne den erhöhten Lehraufwand alleine schultern. Deutsch-Südwest wird ihren Studentenansturm eher nach der Methode Kleinkredit abarbeiten: Die Räume werden besser genutzt, die Professoren lehren ein bisschen mehr, wenn’s schlimm kommt, müssen die Studierenden zwei Semester auf die Walz gehen. Will sagen: Der Landesvater verschickt seine Zöglinge. Nach Sachsen. So weltoffen ist Günther Oettinger, bei aller Autarkie.

Wahlempfehlung: Oettinger hielt bereits 1992 Schwarz-Grün für „denkbar“. Man sollte ihm beim Denken helfen.

Jürgen Zöllner: Der tragische Held der Unis

Wenn man Jürgen Zöllner scherzen sieht, was er eigentlich immer tut, dann mag man gar nicht glauben, dass man den tragischen Helden der Hochschulreformen vor sich hat. Zöllner, ehemals Professor für Biologie, ist einer der wenigen Spitzenforscher unter den Kultus- und Wissenschaftsministern. Zöllner promovierte mit 25, habilitierte mit 30 und war mit 32 Professor und Stipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Politisch besitzt Zöllner mehr Einfluss als die meisten seiner Kollegen. Als einer der wenigen seines Fachs hat er das Ohr seines Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD). Er ist weit über die Parteifarbe hinweg ein kluger Fachmann und anerkannter Vermittler, wenn sich Bund und Länder wieder mal nicht verstehen.

Ohne den 61-Jährigen wäre etwa die Bund-Länder-Vereinbarung über die Exzellenzinitiative nicht zustande kommen. Auch beim Ganztagsschulprogramm hat er im Hintergrund gewirkt, um die eigentümlich verwinkelten Interessen von Bund und Ländern übereinzubringen. Aber sein wohl wichtigstes Projekt, die Verhinderung von Studiengebühren, ist so gut wie gescheitert. Überall in den Unions-geführten Bundesländern werden Gebühren vorbereitet, manche haben sie schon beschlossen.

Das betrübt den Mann, dessen Haar- und Bartfarbe nahtlos weiß ineinander übergehen. Auch heute, wenn er sein Gegenmittel, den so genannten Vorteilsausgleich, in Berlin vorstellen wird, dürfte er seine Pfeife herausnehmen und stopfen und warten. Um dann mit einem Arsenal an Argumenten eine bessere Lösung anzubieten. Und Zöllners Antwort auf die Unterfinanzierung der Hochschulen ist ja auch gut, ein bisschen zu gut.

Die Idee der Studiengebühren besteht darin, mehr Geld für die Unis zu mobilisieren – und gleichzeitig die Ansprüche der Studenten an ein gutes Studium zu schärfen. Zöllner findet das doppelt falsch. Erstens, weil es Studierende abschrecke, ein Studium zu ergreifen – gerade jene, die man braucht, um den Nachschub an Hochqualifizierten in Deutschland zu erhöhen. Zweitens findet Zöllner Studiengebühren falsch, weil ihre Anreize verpuffen. Die von den Unis eingenommenen Mittel reichen, so das Argument, nicht aus, um teure Studienplätze in Naturwissenschaften und Medizin zu finanzieren; die Hochschulen würden also keinesfalls mehr Studienplätze anbieten. Ohnehin verschwände viel Gebührengeld in den Etats der Bundesländer.

Zöllner setzt einen Vorteilsausgleich dagegen. Der besteht darin, dass Länder, die viele Studierende anziehen und ausbilden, dafür auch belohnt werden. Denn die Hochschulen bekommen für jeden Studenten, der nicht aus dem eigenen Bundesland kommt, einen Ausgleichsbetrag – und zwar in Höhe der tatsächlichen Kosten. In der Schweiz, wo es ein solches Modell bereits gibt, liegen die Ausgleichsbeträge für Geisteswissenschaften bei 6.000 Euro jährlich, für Medizin und Ingenieurswissenschaften bei 15.000 Euro (Grundstudium) bzw. 30.000 Euro (Hauptstudium).

Doch Zöllners Modell wird nicht kommen. Es ist zu komplex, zu intelligent, um sich gegen die einfache, stets auf das eigene Bundesland bezogene Gebührenlösung durchzusetzen. Und, das ist das Wichtigste, Zöllner hat einen schweren strategischen Fehler begangen. Er half den reichen Südstaaten, als sie das Eliteprogramm des Bundes auf ihrer Bedürfnisse zurechtschnitten. Aber jetzt, wo Zöllner deren Zustimmung gebrauchen könnte, lassen ihn die Kollegen der starken Bundesländer hängen. Sie brauchen ihn nicht mehr. Der weise Mann hat seine Schuldigkeit getan. Zöllner darf in einer Arbeitsgruppe mit Sachsen weiter an seinem Modell basteln. Verwirklichen aber wird es niemand, nicht in den Zeiten des Konkurrenzföderalismus.

Wahlempfehlung: Zöllner darf in den Ruhestand – oder seine Alternative verwirklichen: Strafzölle, die nur für Hochbegabte aufgehoben werden.

Jan-Hendrik Olbertz: Unbeteiligter Aufsteiger

Wenn man sieht, wie entrückt, beinahe ziellos Jan-Hendrik Olbertz herumspaziert, dann glaubt man gar nicht, dass er sich in einem Schlangenpfuhl der Macht behaupten könnte. Der sachsen-anhalterische Kultusminister aber wird sich alsbald in einem solchen befinden. Er soll das altbackene Bildungsprogramm der CDU ins 21. Jahrhundert beamen. Zu diesem Zweck leitet er eine von CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla erfundene Bildungskommission. Im steht dabei zur Seite Familienministerin Ursula von der Leyen. Oder wird sie ihm eher in die Seite fallen? Vielleicht passen die beiden auch prima zusammen.

Schon Olbertz’ Weg in die Politik ist so mäandernd, wie man es nur von einem Ostdeutschen erwarten kann. Der 51-Jährige begann als Erzieher in einem Hort, wurde mit 24 Oberstufenlehrer für Deutsch und Musik, nach einem Forschungsaufenthalt in Leningrad habilitierte sich Olbertz in Andragogik, sprich Erwachsenenpädagogik. Mit 36 wurde er Professor. In die Politik kam er parteilos, aber auf CDU-Ticket, als Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) 2002 ihn in sein Kabinett berief.

Da war er also plötzlich Minister – und machte so unkonventionell weiter. Olbertz empfängt Redakteure von Studentenzeitungen zu sehr langen Interviews und sehr abseitigen Themen. Er antwortet auf die Frage, warum denn Sachsen-Anhalt bei der neuen Pisa-Studie so gut abgeschnitten habe, mit dem entwaffnenden Bekenntnis, an der Bildungspolitik könne es jedenfalls nicht gelegen haben. Ronald Pofalla wird noch viel Freude an Olbertz haben.

Der Mann, dessen Bartlänge stets wechselt, ist auch in seinen Positionen so bestimmt wie flexibel. Das Ganztagsschulprogramm des Bundes behandelte er populistisch und professionell. Er schimpfte in Interviews, das Programm enthalte ja gar keine Personalmittel – ohne zu verraten, dass es diese nicht enthalten durfte, weil die Länder dem Bund nie gestattet hätten, Lehrer zu bezahlen. Gleichzeitig arbeitete Olbertz daran, das Konzept so zu gestalten, dass er die Horte retten konnte – denn die seien „ein aus der DDR übernommenes Konzept, das einiges für sich hatte“. Gleichzeitig verstand Olbertz aber, dass eine echte Ganztagsschule eben eine ist, die den Unterricht organisch über den ganzen Tag verteilt. Damit hat er so ziemlich alle Facetten bedient, die Schule über den ganzen Tag besitzt.

Wahrscheinlich ist es diese Vielfältigkeit, die Jan-Hendrik Olbertz zu einem idealen Vorsitzenden der neuen CDU-Kommission macht. Die Kommission hat den programmatischen Titel „Bildungschancen und Erziehung“ und nichts weniger als eine Revolution des Bildungsbegriffs der Union zum Auftrag. Durfte über die hinlänglich nachgewiesene Ungerechtigkeit der gegliederten Schule jahrelang kein Unionsminister lamentieren, sind deren Folgen nun erster und wichtigster Punkt: Kinderarmut, Pisa und Bildungschancen, die entlang sozialer Herkunft verteilt werden, stehen im Orderbuch der Olbertz-Kommission ganz oben. Der Kultusminister, der die Schulformfrage noch immer elegant umkurven konnte, ist nun ganz baff, wenn jemand sich über die neue Offenheit der Union wundert. Selbstverständlich seien Bildungschancen ein wichtiges Thema, das dürfe man keinesfalls liegen lassen.

Olbertz weiß sehr genau, wie es den Vorsitzenden großer Kommissionen bisher erging. Sie wurden ignoriert (Richard von Weizsäcker, Bundeswehr), zur Unperson erklärt (Hartz, Bundesanstalt für Arbeit) oder dürfen endlos neue Kommissionen leiten (Rürup, Rente, Weiser etc.). Dennoch ist er frohgemut. Er wird sich was raussuchen. CIF

Wahlempfehlung: Da kann man nicht viel falsch machen, Jan-Hendrik Olbertz bleibt uns erhalten, und das ist gut so.