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Archiv-Artikel

100 TAGE GROSSE KOALITION: DIE SPD IST WUNSCHLOS GLÜCKLICH Glückliche Köche mit verdorbenem Brei

Nach hundert Tagen großer Koalition gibt es eine überraschende und eine erwartbare Nachricht. Zunächst die erwartbare: Volker Kauder und Peter Struck haben eine positive Bilanz gezogen – so wie das Fraktionschefs eben machen, die im Parlament Mehrheiten für die Regierung organisieren müssen. Auf die allzu überschwänglichen Sympathiebekundungen seines Unionskollegen hat Struck angemessen reagiert – mit einem Griff zur Streichholzschachtel. Tatsächlich: Kauders Lobeshymnen auf die netten Sozis kann man in der Pfeife rauchen. Sie gehören zur Heile-Welt-PR der Union und der Kanzlerin in ihrem Popularitätshoch. Der SPD-Fraktionschef nimmt das auf seine Art: gelassen.

Überraschend ist jedoch, dass die SPD-Parteiführung anlässlich der 100-Tage-Feierlichkeiten auf eine eigenständige Position verzichtet. Nach der klassischen Rollenverteilung sind Parteien Korrektive der Regierung, zumindest deren Antreiber. Diese Aufgabe erfüllt zurzeit nur die Union: In ihrer Funktion als CDU-Chefin hat Angela Merkel gerade erst auf dem Wertekongress ihrer Partei bekräftigt, dass sie gern mehr Reformen durchsetzen wollte, wenn sie nur könnte. SPD-Chef Matthias Platzeck und sein Vize Kurt Beck dagegen erwecken den Eindruck, für die Sozialdemokraten sei das Optimum schon erreicht, eine Steigerung des Glücks unmöglich. „So viel Sozialdemokratie wie heute war nie“, befindet Beck, und Platzeck jubelt, in Berlin werde „gut sozialdemokratisch gekocht“. Das wirft denn doch die Frage auf, was uns die SPD servieren würde, wenn sie allein regieren könnte.

Offenbar nichts anderes als jetzt: Sparpolitik mit dem Argument, es sei leider kein Geld mehr da – obwohl die Reichen immer reicher werden. Schwarz-Rot beschließt Kürzungen beim Arbeitslosengeld, eine faktische Rentenkürzung und eine Föderalismusreform, die bei der Bildung die Ungleichheit zwischen armen und wohlhabenden Ländern zementiert. So viel Sozialdemokratie war nie? Diese Politik ließ sich vielen SPD-Wählern bisher nicht einmal als nötiger Kompromiss mit der Union verkaufen. Sie sind, siehe Umfragen, erkennbar unglücklich. Aber sie kommen bestimmt zurück, wenn sie erfahren, dass die SPD-Chefs wunschlos glücklich sind. LUKAS WALLRAFF