: Geheimnisvolle Wege der Grippe
Zugvögel dürfen nicht als Hauptursache der Vogelgrippe gesehen werden, warnen UN-Tierschutzexperten. Schlachtungen könnten das Infektionsrisiko sogar erhöhen. Sie wollen die ökologischen und sozialen Zusammenhänge erforschen
AUS BONNSEBASTIAN SEDLMAYR
Wildvögel dürfen nicht als alleinschuldig an der Vogelgrippe gebrandmarkt werden, warnen Vertreter des UN-Sekretariats für den Schutz wandernder Tierarten (CMS). „Es ist verfehlt, Zugvögel für die Vogelgrippe verantwortlich zu machen“, sagte Robert Hebworth, Exekutivsekretär der CMS gestern am Sitz der Vereinten Nationen in Bonn. Die internationale Gemeinschaft solle sich „auf die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Ursachen dieser Verbreitung konzentrieren“, empfahl Hepworth. Dazu zählte er „die drastische Reduzierung der Lebensräume für Wildtiere und nicht nachhaltige Landwirtschaft, die zu einer ungesunden Nähe von Zugvögeln und Haustieren“ geführt hätten.
Über die tatsächlichen Übertragungswege von H5N1 sei für endgültige Aussagen noch zu wenig bekannt, so Hepworth. „Nun ist es Zeit, sich auf die Wissenschaft zu stützen.“ Anfang April werde in Nairobi ein internationales Seminar des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zum Thema Vogelgrippe stattfinden. Dort würde auch über die Einrichtung eines Frühwarnsystems beraten.
„Wir müssen die besten Wissenschaftler zusammenbringen und mehr in die Forschung investieren“, so Hepworth. Neue Informationen über Vogelgrippe sollten zudem weltweit schnell zugänglich gemacht werden. Um die Übertragungswege zu erforschen, sollte auch die legalen und illegalen Handelsrouten von Geflügel in Betracht gezogen werden, forderte Hepworth. Bereits im August vergangenen Jahres hatten UNEP, CMS, das Afrikanisch-Eurasische Wasservogelabkommen (AEWA) und weitere Organisationen einen Arbeitsstab zur Bekämpfung der Vogelgrippe eingerichtet.
Diese Task Force habe der internationalen Gemeinschaft empfohlen, sowohl auf die Bedrohung für die Menschen als auch für die Wildtiere und den Artenschutz hinzuweisen. Doch leider hätten Zugvögel derzeit ein „kaum besseres Image als Ratten im Mittelalter“, so UNEP, CMS und AEWA in einer gemeinsamen Pressemitteilung.
Das Keulen von Wildvögeln lehnten sowohl Hepworth als auch der CMS-Wissenschaftler Marco Barbieri und der AEWA-Exekutivsekretär Bernd Lenten strikt ab. Dies könne „die Verbreitung der Seuche eher erleichtern als eindämmen“, sagte Barbieri. Denn angegriffene Vogelpopulationen würden die Flucht ergreifen und sich an anderen Stellen niederlassen. So könne sich die Grippe weiter ausbreiten.
Die Wissenschaftler warnten noch einmal eindringlich vor einer Panik. „Bislang sind weltweit 90 Menschen an dem Vogelgrippevirus gestorben“, sagte Lenten. „Alle hatten Kontakt mit Vögeln oder Vogelkot.“ Wenn die Schutzmaßnahmen eingehalten würden, gebe es eine gute Chance, die Vogelgrippe zu besiegen. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch sei bisher noch nicht festgestellt worden.
Die in Deutschland nach dem Bekanntwerden von Infektionen mit dem Erreger H5N1 auf Rügen getroffenen Maßnahmen nannte Lenten lobenswert. Weiterhin müssten alle toten Vögel eingesammelt, untersucht und Rügen sowie die angrenzenden Regionen überwacht werden. Menschen sollten tote Vögel nicht berühren.
Wie der H5N1-Virus nach Rügen gelangt ist, sei derzeit noch nicht zu erklären, so Lenten. Die zuerst infizierten Schwäne seien nur in Gebieten heimisch, in denen die Vogelgrippe bislang nicht ausgebrochen ist.