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Archiv-Artikel

Bauer Kliewe muss Federn lassen

Sein Hof gehört zur Überwachungszone. „Jetzt wird es eng“, ahnt Kliewe„In Asien gehen sie mit den Hühnern ins Bett, wir stehen nur mit den Hähnen auf“

AUS MURSEWIEK/RÜGENBARBARA BOLLWAHN

Holger Kliewe hatte alles vorbereitet. Heute, Samstagmorgen, sollten zweihundert Junghennen auf Lkws geladen und verkauft werden. Im Viertelstundenrhythmus sollten die Wagen mit den legereifen Hennen an Raststätten, Kirchen und Feuerwehren vorfahren. Kleintierhalter wurden Anfang der Woche mit Anzeigen über Standorte und Zeiten informiert. „Geflügelhof Kliewe bietet Ihnen Rügener Landgeflügel. Legereife Junghennen, braune, schwarze, weiße Hühner. Alle Tiere schutzgeimpft.“ Das Geld hätte er sich sparen können. Die Hennen sind im Stall, und Holger Kliewe ist zu Hause. Der Vogelgrippevirus H5N1 ist ihm zuvorgekommen.

Seitdem am Mittwoch bekannt wurde, dass zwei Schwäne, die am 8. Februar von Urlaubern an der Wittower Fähre zwischen den Inseln Rügen und Hiddensee entdeckt wurden, mit dem Virus infiziert waren, darf kein Geflügel mehr transportiert oder verkauft werden.

Etwas Schlimmeres hätte Kliewe kaum passieren können. Der 42-jährige Agraringenieur betreibt zusammen mit seiner Frau, auch einer Agraringenieurin, den größten Geflügelfreilandbetrieb mit Überlandverkauf in ganz Vorpommern. Derzeit hat er 2.000 Zuchttiere, Hühner, Gänse und Enten, auf dem Hof, zu dem 55 Hektar gehören und den er von seinen Eltern übernommen hat und seit 1991 bewirtschaftet. „Seit fünfzehn Jahren bin ich gut mit der Freilandhaltung gefahren“, sagt Kliewe ratlos, „und jetzt kann es mich das Leben kosten.“ Am Mittwochmorgen um sechs wurde er von den Nachrichten aus dem Radio geweckt. Verschlafen hörte er etwas von der Vogelgrippe, vom „Killervirus“, der nun Deutschland erreicht habe – auf Rügen. „Ich dachte erst, ich habe mich verhört“, erzählt Kliewe, der für einen Mann von der Küste überraschend viel redet, „und habe das Radio lauter gestellt.“ Als er merkte, dass er richtig gehört hatte, schossen ihm drei Wörter durch den Kopf. „Ach du Scheiße!“

Der Dreiseitenhof von Holger Kliewe liegt auf dem westlichen Teil Rügens im Örtchen Mursewiek und ist 14 Kilometer entfernt von dem Fundort der infizierten Schwäne. Obwohl er damit außerhalb der Zehnkilometer-Überwachungszone liegt, hat er kein Glück im Unglück. Weil sein Hof unmittelbar am Wasser steht, führten Veterinäre am Donnerstagmorgen Tupfer in den After seiner Hühner, Gänse und Enten, um den Kot auf Antikörper gegen das Influenza-A-Virus der Subtypen H 5 und H 7 zu untersuchen. Er rechnet damit, am Montag zu Ergebnisse zu erfahren.

Seit gestern gehört er richtig zur Überwachungszone. Am Morgen rief ihn der Amtstierarzt an und sagte, dass ein in Schaprode gefundener Schwan positiv getestet wurde. „Jetzt wird es eng.“ Nun hat Kliewe Angst, dass er vielleicht kein Fleisch verkaufen darf. „Der Arzt hat das angedeutet“, sagt er aufgebracht, „aber er wollte das noch nachlesen.“ So genau wusste das der Veterinär nicht.

Hier in Mursewiek, wo es mehr Federvieh als Menschen gibt, ist Kliewe ein gefragter Mann bei Kamerateams, die Bilder von eingesperrtem Geflügel brauchen, und bei Veterinärärzten, die in weißen Schutzanzügen Proben nehmen. Er stapft zu dem Stall, in dem er seit Mittwochmorgen seine Hühner hinter Holztüren und Milchglasscheiben eingesperrt hat. Nur ihr Gegacker ist zu hören „Die Hennen sind legereif“, erklärt er, „wir sagen, dann singen sie.“ Wären sie krank, würden sie keine Eier legen.

Der Stall mit den Zuchtgänsen ist wenige Meter neben einem kleinen Teich, hinter dem der Bodden beginnt. Ideal für Wildvögel, die jetzt zu einem Gefahrenpotenzial geworden sind. Mehrmals am Tag stehen die Gänse hinter einer Absperrung in der offenen Stalltür und schauen unsicher in die davor aufgebauten Kameras und Strahler. „Wir müssen die ganze Zeit gute Miene zu bösem Spiel machen“, sagt Kliewe mit roten Backen und grüner Wachsjacke und sagt das nächste Statement in eine Kamera.

Bis vor wenigen Tagen hat Kliewe von der Nähe zum Wasser profitiert. „Mit etwas Glück können Sie Kraniche und Wildgänse vom Balkon Ihrer Ferienwohnung beobachten“, heißt es in seiner Werbung für die neun Ferienwohnungen, die er vermietet. Was bisher lukrativ klang, klingt nun Unheil bringend. Einige besorgte Anrufe hat Kliewe schon bekommen. Und eine Reisegruppe aus Stralsund hat gestern den für Sonntag geplanten Ausflug zu Kliewes Hof abgesagt. „Rügen ist eine wunderschöne Insel“, versichert Kliewe. „Die Urlauber sollen sich nicht von toten Schwänen abschrecken lassen.“

Im Oktober vergangenen Jahres, als die Vogelgrippe Großbritannien und Kroatien erreicht hatte, erließ die Bundesregierung schon einmal eine Eilverordnung zur Stallpflicht. Damals stellte Kliewe einen Antrag auf eine Ausnahmegenehmigung. Er hatte 10.000 Hühner, Enten und Gänse und nicht genug Platz, um alle in den Ställen unterzubringen. Unter Auflagen durfte er sein Geflügel draußen lassen. Futterplätze und Tränken durften nicht im Freien sein, zweimal pro Woche kamen Kontrolleure, um sich seine Bestände anzuschauen. „Blut- und Tupferproben wurden auf Antikörper getestet“, erzählt er. Es seien „ein paar Antikörper“ gefunden worden, „ganz schwach“. Doch die H5N1-Tests seien negativ gewesen. „Das heißt“, schlussfolgert der Landwirt, „das Virus ist schon länger in der Luft geschwirrt.“

Wenige Wochen vor dieser ersten Eilverordnung hat Kliewe einen Hofladen mit Restaurant, Kamin und Spielecke eröffnet. Dort verkauft er seine Enten und Gänse, Putenbuletten, Entensauerfleisch, Geflügelsülze, Geflügelsalami, Geflügelleberwurst. Für seine Rügener Landente, seine geräucherte Entenbrust und seine Rügener Landgans hat er das Prädikat „Das Beste von Rügen“ bekommen, ein Siegel, das der Verein „Rügener Produkte e. V.“ für besondere Qualität vergibt. „Und das soll ich jetzt vielleicht nicht mehr verkaufen dürfen?“, fragt Kliewe und zeigt auf sein Sortiment. „Nee“, ruft er laut und zündet den Kamin an, um sich etwas zu beruhigen, „da mache ich nicht mit!“ Er zitiert Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU), der am Abend zuvor erklärt hatte, dass Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit gehe. „So eine Regierungserklärung ist doch nur dazu da“, schimpft er weiter, „um sich bei der Bevölkerung ein Bienchen zu verdienen.“

Noch am Donnerstag lief der Hofverkauf ganz gut, wobei im Winter sowieso nicht viel los ist. Erson Höppner schleppt eine Kiste zu seinem Auto. Der 71-Jährige, der alle zwei Monate aus dem 100 Kilometer entfernten Dargun anreist, hat auch dieses Mal ordentlich eingekauft. Für 143 Euro. „Entenbrust, Suppenhuhn, Broiler, Entensauerfleisch“, zählt er auf. „Was Besseres als das Geflügelsauerfleisch gibt es nicht!“ Von den toten Schwänen, die Tag für Tag gefunden werden, lässt sich der Rentner nicht verunsichern. „Jedes Jahr gibt es tote Schwäne“, sagt er, „man sollte das alles nicht unnötig aufbauschen.“

Bis vor wenigen Tagen war die Vogelgrippe ziemlich weit weg. Jetzt ist sie ganz nah. Sie ist im nordöstlichen Zipfel Deutschlands angekommen, in einer Region, in der die Einheimischen ihre Sätze mit den Worten „sag ich mal“ beenden. „In Asien gehen die Leute mit den Hühnern ins Bett. So was wird es in Deutschland mit Sicherheit nicht geben“, sagt Holger Kliewe. „Hier ist die Ansteckungsgefahr nicht so wie in Asien, wo die Leute mit dem Geflügel in einem Bett schlafen“, sagt der Freund einer seiner Töchter, ein 24-jähriger Student, der im Hofladen mitarbeitet. „Wir stehen zwar mit den Hähnen auf, aber wir gehen nicht mit den Hühnern ins Bett“, sagt die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Marianne Linke von der Linkspartei.PDS.

Und jetzt lebt Kliewe mit seinem Federvieh in einer Gefahrenzone. Anfang der Woche teilte Till Backhaus (SPD), Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern, mit, dass die technischen Voraussetzungen für eine unverzügliche Tötung der Tiere eines betroffenen Bestands geschaffen seien. Zwei Elektrotötungsanlagen für Geflügel wurden angeschafft und eine CO2-Tötungsanlage. Je nach Gewicht der Tiere können mit der Elektromaschine bis zu 56.000 und mit der CO2-Anlage bis zu 78.400 Tiere pro Tag getötet werden.

„Mehrere hundert tote Schwäne sind ein riesiges Gefahrenpotenzial“, sagt Holger Kliewe, „das ist nicht von der Hand zu weisen.“ Aber, betont er und verschränkt entschlossen die Arme, er habe sich nichts vorzuwerfen. „Das ist höhere Gewalt. Ein einzelner Geflügelzüchter kann nichts dafür.“ Außerdem gehe es um infizierte Wildvögel, nicht um Nutzgeflügel. Sollten seine Tiere infiziert sein und gekeult werden müssen, dann will er eine Entschädigung haben. „Von denen, die das anordnen.“ Wenn nicht? Kliewe rettet sich in Galgenhumor. „Dann gehe ich nach Amerika und züchte Rinder.“

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