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Archiv-Artikel

„Kioto war ein Wendepunkt“

Ein Jahr Klimaschutzprotokoll: Im Kampf gegen die Erderwärmung gibt es zwar erste Erfolge. Dennoch kommt der notwendige Strukturwandel in der Energiewirtschaft zu langsam, meint Klimaforscher Peter Hennicke

taz: Heute vor einem Jahr trat das Kioto-Protokoll in Kraft. Was hat es bewirkt?

Peter Hennicke: Einen Aufholprozess: Jahrelang steckte die internationale Klimadiplomatie in der Sackgasse. Das In-Kraft-Treten war ein Wendepunkt.

Mit welchen Folgen?

Fast zwei Drittel der Welt betreiben heute Klimaschutz. Die Diplomatie gibt dafür drei Instrumente. Erstens den Handel mit Verschmutzungsrechten: Wer Kohlendioxid in die Luft bläst, muss aktuell etwa 25 Dollar je Tonne zahlen. Was in Europa bereits funktioniert, muss nun auf die Welt ausgedehnt werden. Zweitens beginnt der so genannte „Clean Development Mechanism“ zu wirken: Industriestaaten investieren in Klimaprojekte der Entwicklungsländer. Drittens sind die Sanktionsmechanismen jetzt völkerrechtlich verbindlich: Wer sein festgeschriebenes Reduktionsziel bis 2012 nicht erreicht, muss in der Folgeperiode das 1,3-Fache reduzieren.

Kioto läuft also. Muss uns ums Klima noch bang sein?

Leider ja. Ursprünglich gedachte die Menschheit mit dem Kioto-Prozess den Ausstoß von Klimakillern auf dem Niveau von 1990 einzufrieren. Heute ist absehbar, dass – selbst wenn wir Kioto bis 2012 schaffen – zwei Drittel mehr Klimakiller in der Atmosphäre sein werden als 1990.

Es sieht nicht so aus, dass die Ziele geschafft werden. Nicht einmal in der Europäischen Union – lange Zeit Vorreiter.

Momentan sieht es in der EU tatsächlich nach Scheitern aus. Erstens aber erarbeitet die Union gerade eigene Sanktionen: Mitglieder, die nicht genug reduzieren, müssen Strafen zahlen. Zweitens hat der zuständige Energiekommissar Andris Piebalgs erkannt, dass Klimaschutz durch Energieeffizienz eine ökonomisch attraktive Innovationsinitiative ist. Wenn die Kommission jetzt ihre Politik auf Piebalgs’ Vorschläge ausrichtet, führt das zu einem neuen Paradigma. Die EU will dann diese Technologieoffensive in die internationale Diplomatie einbringen.

Eine Technologieoffensive hat auch US-Präsident Bush angekündigt. Setzen die USA nun doch auf den Kioto-Prozess?

Nein: Die USA versuchen Technologieoffensiven gegen das Kioto-Protokoll ins Feld zu führen. Die EU dagegen will mit einem Technologieschub Kioto erfüllen – und weiterentwickeln.

Zum Beispiel?

Effektiv wird Klimaschutz nur durch die weltweite Einführung von Kraft-Wärme-Kopplung, erneuerbaren Technologien und Energieeffizienz vorangebracht.

Auch Deutschland schwächelte. Die Union will deshalb die Atomkraftwerke länger laufen lassen, um Kohlendioxid zu sparen. Der richtige Weg?

Nein. Atomkraft ist keine Lösung für den Klimaschutz. Längere Laufzeiten bremsen nicht nur die Innovationskraft. Laufen die AKWs länger, werden auch Investitionen in klimafreundliche Alternativen gebremst.

Werden die AKWs wie geplant abgeschaltet, scheitert Deutschland, argumentiert die CDU. Zu Recht?

Das ist nicht überzeugend: In Atomkraftwerken ist sehr viel Kapital angelegt, das zur Verzinsung drängt. Das heißt: AKWs müssen laufen, laufen, laufen – um maximalen Gewinn abzuwerfen. Atomkraft ist also nicht nur eine Frage des Risikos, sondern auch eine Frage der ökonomischen Triebkraft. Die ist gegen Energiesparen, gegen Rohstoffsparen gerichtet: Solange AKWs da sind, haben es Alternativen wie etwa Kraft-Wärme-Kopplung schwer. Will die schwarz-rote Koalition ihre energiepolitischen Ziele erreichen, darf der Atomkonsens nicht in Frage gestellt werden.

Klimaschutz kann – je nach Untersuchung – bis zu 20 Prozent Wirtschaftswachstum in den nächsten 10 bis 20 Jahren Jahren bringen. Sind die Politiker zu blöd, dieses Wachstumspotenzial zu nutzen?

Ich glaube nicht, dass das eine Frage mangelnder Intelligenz ist.

Sondern?

Ein Gemisch aus Informationsdefiziten und massiven Interessenkonflikten. Klimaschutz ist ein staatlich beschleunigter Strukturwandel. Strukturwandel bedeutet immer, dass es Gewinner und Verlierer gibt. Solange die Verlierer keine Alternative sehen, werden sie versuchen zu bremsen, wo es nur geht.

Sie meinen die vier großen Konzerne – RWE, ENBW, Eon und Vattenfall ?

Ich meine alle die, die bislang am Investment in Alternativen kein Interesse haben. Dagegen muss der Staat als Sachwalter der Wähler attraktive Rahmenbedingungen für neue Geschäftsfelder setzen. Die Frage ist also, ob sich die Regierung Merkel durchsetzen will – notfalls auch gegen einzelne Konzerninteressen.

Energieeffizienz ist heute ein häufig genutzter Begriff – im Bauministerium genauso wie im Wirtschafts-, Agrar- oder Umweltministerium.

Spätestens der Gasstreit hat gezeigt, dass Energieeffizienz auch eine nationale Sicherheitsfrage geworden ist. Durch steigende Weltmarktpreise sind hochsensible Abhängigkeiten entstanden. Allerdings hat bislang erst einer im Kabinett diese paradigmatisch völlig neue Schnittmenge angefasst: Umweltminister Sigmar Gabriel sagt völlig zu Recht, dass Klima- und Umweltpolitik Innovations- und Wirtschaftspolitik per se ist. Klimapolitik stoppt beispielsweise einen permanenten Kapitalabfluss: Gespartes Geld für gesparte Import-Rohstoffe stärkt die binnenländische Kaufkraft.INTERVIEW: NICK REIMER