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Archiv-Artikel

Träume einer Umbruchzeit

Der Aufwand der Filmbilder und die Brüchigkeit der Realität: Den „Traumfrauen“ der Fünfzigerjahre gilt die Retrospektive der diesjährigen Berlinale. Opferbereitschaft gehörte zur Chiffre der Filmheldinnen und Stärke in der Politik der Herzen. Doch darunter rumort schon der Wunsch nach Befreiung

In den 50er-Jahren stellte sich für den weiblichen Star der Widerspruch zwischen Liebe und Arbeit mit neuer Brisanz

von ELISABETH BRONFEN

Die Traumfabrik Hollywood hat immer schon Filme fabriziert, die kulturell brisante Anliegen zu mythischen Geschichten verarbeiten. Wie sehr es sich beim Mainstream-Kino um eine Begehrensmaschine handelt, wird jedoch nirgends so sichtbar wie beim Phänomen des Stars. Er fungiert als Identifikationsfigur, ist er doch schöner, erfolgreicher und leidenschaftlicher als der gewöhnliche Mensch. Deshalb bieten die Geschichten, die ihm widerfahren, eine Kompensation für die Ungenügen des Alltags. Zwar müssen auch Stars ihre Träume den Ansprüchen der Realität anpassen, aber die Filmgeschichten, die sie uns vorführen, sind immer auf eine sinnstiftende Versöhnung im Happyend angelegt. So werden die am Star festgemachten Fantasien von Glamour, Abenteuer und Luxus zum Fixstern, an dem sich die Zuschauer mit ihren eigenen Fantasien orientieren können.

Doch es war von jeher vor allem der weibliche Star, der als Objekt des Zuschauerblicks vom Hollywood-Mainstream gefeiert wurde. Ihm gilt dessen visueller Zauber: jene sanfte Beleuchtung, die alle Falten glättet, damit ein makelloses Gesicht in der Nahaufnahme in Erscheinung tritt. Doch die Ausstrahlungskraft des weiblichen Stars lebt nicht nur vom Glamour. Weil die Kinoheldin gerne einem Exempel dient, können an ihrem Schicksal moralische Fragen der Zeit verhandelt werden. Gerade in den 50er-Jahren, denen die diesjährige Retrospektive der Filmfestspiele in Berlin gewidmet ist, rückt dabei vor allem die Menschlichkeit des weiblichen Stars in den Vordergrund. Besonders deutlich wird dies in einem Film wie „A Star is Born“, mit dem Judy Garland ihr Comeback schaffte. Bodenständig setzt sich die lebensfröhliche Vicki als Sängerin durch und wägt dennoch ab, ob Celebrity wirklich um jeden Preis erstrebenswert ist. Sie wäre bereit, alles für ihren Gatten aufzugeben, doch dieser wählt den Freitod, um den Abbruch ihrer Karriere zu verhindern. In der grandiosen Abschlussszene steht sie allein auf der Bühne und kämpft mit ihren Tränen, während sie sich zugleich zum ersten Mal nicht mit ihrem Künstlernamen vorstellt, sondern als Mrs Norman Maine. Sie gibt jene emotionale Intensität öffentlich preis, die ihr erlaubt, als Star weiterzumachen, weil sie jede persönliche Katastrophe zu überleben weiß.

Damit legt der Regisseur George Cukor seinen Finger auf einen neuralgischen Punkt dieser Zeit. Denn in den 50er-Jahren stellte sich für den weiblichen Star der Widerspruch zwischen Liebe und Arbeit mit neuer Brisanz. Erinnert wird diese Dekade für das Testen von nuklearen Waffen, die Rhetorik des Kalten Krieges, die von McCarthy geführte Hexenjagd gegen vermeintliche Kommunisten sowie das wachsende Aufbegehren in der Dritten Welt. Zugleich hält in dieser Zeit nicht nur das Fernsehen Einzug in die Wohnzimmer der amerikanischen Bevölkerung. Auch das Konzept des Teenagers und mit ihm die Jugendkultur wird geboren: Der Rock ’n’ Roll, das Drive-in-Kino und die Figur des Halbstarken. Nirgends wurde das Vertrauen in den ökonomischen Aufschwung jedoch so deutlich wie im Versuch, im Zuge einer Kulturpolitik des Babybooms die Frau auf ihren häuslichen Wirkungskreis zu reduzieren.

Gibt uns die Retrospektive „Traumfrauen“ die Möglichkeit, nochmals auf die großen Hollywoodproduktionen der 50er-Jahre zu blicken, zeigt sich aber auch, wie sehr dies eine prekäre Zeit des Umbruchs war. Gerade die Farbenpracht und die strenge Formalisierung der Filmbilder sprechen vom enormen Aufwand, der betrieben werden muss, um die Sprünge zu überbrücken, die in der Alltagsrealität bereits sichtbar geworden waren. So lässt sich nachträglich die Opferbereitschaft der weiblichen Stars als Chiffre für eine Orientierungslosigkeit und ein Aufbegehren lesen, das nur mit äußerster Strenge gezügelt werden konnte. Dürfen die Helden der 50er-Jahre das traute Heim verlassen, um in der Prärie Abenteuer zu erleben oder auf nächtlichen Straßen den Verlockungen der Unterwelt nachzugeben, verschreiben sich die Filmheldinnen einer Politik des Herzens. Als gehorsame Töchter, hilfsbereite Ehefrauen und strenge Mütter bilden sie den moralischen Maßstab einer noch zuversichtlichen Kultur, die glaubt, den Brüchen mit aller Kraft doch standhalten zu können. Als Verwalterinnen von Häuslichkeit und Herz können diese Traumfrauen dabei an einer Wirtschaft zweifeln, die nur auf materielles Wohl bedacht war. Denn sie verkörpern nicht nur Pflichtbewusstsein und Aufrichtigkeit, sondern legen zugleich offen, welche emotionale Einschränkung ihr Verzicht auf unbeschränkte Selbstentfaltung fordert.

Diese Stützen der Gesellschaft eröffnen dabei ein komplexes Angebot an Identifikationsmöglichkeiten. Da wäre Audrey Hepburn mit ihrem offenen Blick, die in „Roman Holiday“ einen Tag lang ihre Pflichten als Prinzessin vergessen darf. Oder Grace Kelly, die in Hitchcocks „To Catch a Thief“ ihren listigen Witz dafür verwendet, den richtigen Mann zu den ihr vorteilhaftesten Bedingungen zu bekommen. Die erhabene Schönheit einer Ava Gardner umhüllt sie mit der Aura des Außerordentlichen, als wäre sie nicht von dieser Welt, während die überbordende Sinnlichkeit Elizabeth Taylors sie beinahe aus allen Nähten des eng angelegten Korsetts vorgeschriebener Konventionen herausplatzen lässt. Dabei stellt die übersprudelnde sexuelle Komik Marilyn Monroes vielleicht die radikalste Unterwanderung der verlogenen Verhaltenheit dieser Zeit dar.

Doch ein Detail lässt nachträglich erkennen, wie gerade im Kino die Weichen für den Umbruch der nächsten Dekade gelegt wurden. Am Anfang von „Gentlemen Prefer Blondes“ singt Monroe davon, wie sie aus Little Rock wegzog, um ihren Traum von Glück, Glamour und Geld zu verwirklichen. Vier Jahre später taucht die Hauptstadt von Arkansas ein weiteres Mal im Zusammenhang mit einer jungen Frau im Bewusstsein der Öffentlichkeit auf: Würdevoll und zugleich mutig läuft Elizabeth Eckford im adretten Petticoat mit ihrer Schulmappe unter dem linken Arm geklemmt an einer sie anpöbelnden weißen Menschenschar vorbei. Sie war eine der neun Schwarzen Schüler, die der Gouverneur mit dem Einsatz seiner National Guard daran hindern wollte, das Schulhaus zu betreten. Erst die von Präsident Eisenhower eingesetzte Luftwaffe stellte einige Wochen später die Integration von Schwarzen in das weiße Schulsystem sicher.

So sind über Little Rock zwei Frauenbilder miteinander verknüpft, an denen in den 50er-Jahren eine kulturelle Sprengkraft sich verdichten konnte: an Marilyn Monroe der Traum einer befreiten Sexualität und an Elizabeth Eckford der Traum der Bürgerrechte für Minderheiten jeder Couleur. Auf der Kinoleinwand konnte dieses Rumoren eines Aufbruchs, um den man auf den Straßen schon zu kämpfen begonnen hatte, angedeutet und dennoch gezügelt werden. Darin besteht auch weiterhin das Faszinosum dieser Filmgeschichten. Blickt man nämlich heute auf die von Hollywood fabrizierten Träume dieser Umbruchzeit, erstaunt weniger, was alles direkt nicht ausgesprochen werden durfte, als vielmehr, was alles zur Sprache gebracht werden konnte. Es muss nur ein weiblicher Star sein, der es wagt.