: Vom Provinzblatt zur Speerspitze des Kulturkampfes
Die umstrittenen Mohammed-Karikaturen machten aus „Jyllands-Posten“ einen Welt-Akteur wider Willen. Zuvor hatte sich Dänemarks größte Tageszeitung als Sprachrohr einer rechten Ausländerpolitik profiliert – mit Methoden, die journalistisch höchst zweifelhaft sind
KOPENHAGEN taz ■ Ein Flachbau in Viby, nahe Århus, Dänemarks zweitgrößter Stadt. Hier residiert die Zentralredaktion der mittlerweile bekanntesten Tageszeitung des Landes. Ein relativ unbedeutendes Provinzblatt war Jyllands-Posten (JP) noch zu Beginn der Achtzigerjahre. Finanziell mal wieder schwer gebeutelt, entschloss man sich zu dem recht ungewöhnlichen Weg, sich nicht aus der Krise zu sparen, sondern alles auf eine Karte zu setzen und stattdessen zu expandieren.
JP baute Redaktion und Korrespondentennetz großzügig aus, schaffte sich ein modernes Design an, legte sich frech den Untertitel „Dänemarks internationale Zeitung“ zu und konkurrierte mit einer eigenen Kopenhagenausgabe gegen die alteingesessenen Hauptstadtblätter. Die liberale Politiken, die damalige Marktführerin und die „alte Tante“, die betulich-konservative Berlingske Tidende. Die beiden hatten sich bis dahin den Markt aufgeteilt. JP drängte sich nämlich nicht nur mit frischem journalistischem Wind, sondern mit aggressivem Dumping bei den Abonnements- und Anzeigenpreisen in den Hauptstadtmarkt. Es war der Beginn eines Preiskriegs, der fast ein Jahrzehnt toben sollte, allen Beteiligten an die Substanz ging und an dessen Ende der dänische Pressemarkt sich neu formiert haben sollte. Jyllands-Posten konnte die Auflage von 1980 bis 1995 verdoppeln, überholte erst Berlingske Tidende und dann, 1994, Politiken. Mit einer Auflage von rund 170.000 Exemplaren hat JP die Position als auflagenstärkste Tageszeitung bis heute verteidigt. Auf einem von sinkenden Auflagen geprägten dänischen Pressemarkt in der Mitte der Neunzigerjahre galt JP als Erfolgsmodell.
Im Konzentrationsprozess kleiner Lokal- und Regionalzeitungen konkurrierte man mit dem anderen Aufkauf-Akteur auf diesem Markt, dem Berlingske-Zeitungshaus. In welchem neben der Berlingske Tidende das Boulevardblatt B.T. und die Wochenzeitung Weekendavisen erscheinen. Nachdem vor drei Jahren die beiden bisherigen Konkurrenten, Politiken und JP, in einem gemeinsamen Konzern zusammengingen, teilen sich nun im Ergebnis zwei Akteure den dänischen Pressemarkt auf. Einerseits Politiken/JP mit der Boulevardzeitung Ekstrabladet, andererseits das nun im Besitz des norwegischen Orkla-Konzerns befindliche Berlingske-Verlagshaus. Die einzig unabhängige Stimme ist die linke Information.
Entgegen ursprünglicher Befürchtungen führte das Zusammengehen von Politiken und JP bislang nicht zu einer Einschränkung der journalistischen Unabhängigkeit beider Blätter. So hat sich Politiken auch als einer der schärfsten Kritiker der Konzernschwester JP im jetzigen Karikaturenstreit erwiesen.
Ende der Neunziger veränderte sich JP deutlich. Fast ein Viertel der Redaktion musste gehen, die Qualität sank, die Meinungsseite orientierte sich immer mehr nach rechts. Einhergehend mit der Ausrufung eines „Kulturkampfs“ durch die 2001 angetretene konservativ-rechtsliberale Regierung entwickelte sich JP zum Sprachrohr einer Verschärfung der Ausländerpolitik. Themen kamen ins Blatt, für die man den Tatsachenbeweis schuldig blieb. Ein Chefredakteur ging, nachdem die Leitung gegen seinen Widerstand passend zu den Parlamentswahlen eine Geschichte über angeblichen systematischen Sozialsystemmissbrauch durch Asylsuchende ins Blatt gehoben hatte. Kurz vor den weltweit bekannt gewordenen Zeichnungen prangte auf der Titelseite: „Islam am kriegerischsten“. Eine groß aufgemachte Geschichte einer muslimischen Todesliste mit jüdischen Namen erwies sich als Fantasieprodukt.
Simon Andersen, Lektor für Journalismus am Universitätszentrum Roskilde und von 1994 bis 2001 selbst Journalist bei JP, warf seiner ehemaligen Zeitung vor, sie habe sich „beharrlich und mit offenen Augen“ von zweifelhaftem Journalismus „kompromittieren lassen“ und Geschichten – „Hauptsache sie kommen beim Leser an“ – ins Blatt gerückt, „ohne dass jemand weiß – oder sich auch nur dafür interessiert – ob sie wahr sind oder nicht“.
REINHARD WOLFF