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Archiv-Artikel

„Eine Eskalation ist nicht zwingend“

Mit der Aufnahme seines Atomprogramms hat der Iran eindeutig gegen seine völkerrechtlichen Pflichten verstoßen. Ein militärischer Alleingang durch Israel, Frankreich oder die USA wäre aber nicht legitim, meint Andreas Zimmermann

taz: Herr Zimmermann, verstößt der Iran mit seinem Atomprogramm gegen seine völkerrechtlichen Pflichten?

Andreas Zimmermann: Der Iran hat über Jahre hinweg gegenüber der Internationalen Atombehörde IAEO den Besitz und die Verarbeitung von Nuklearmaterial sowie entsprechender Anlagen verheimlicht. Damit hat der Iran gegen ein Safeguard-Abkommen verstoßen, das er 1974 mit der IAEO geschlossen hat.

Worum geht es da?

Der Atomwaffensperrvertrag sieht vor, dass alle Staaten, die keine Nuklearwaffen besitzen, mit der IAEO ein spezielles Abkommen schließen. Diese Safeguard-Abkommen sollen sicherstellen, dass die Vertragsstaaten ihre Verpflichtungen aus dem Sperrvertrag einhalten, also insbesondere keine Atomwaffen herstellen und erwerben.

Verstößt auch die Wiederaufnahme der Urananreicherung gegen das Abkommen?

Solange die Urananreicherung friedlichen Zwecken dient, zum Beispiel der Produktion von Brennstäben für Atomkraftwerke, ist sie grundsätzlich zulässig. Der Atomwaffensperrvertrag erklärt die zivile Erforschung und Erzeugung von Kernenergie zum „unveräußerlichen Recht“ aller Vertragsparteien.

Dem Iran kann man also im Grunde nur vorwerfen, die IAEO nicht vollständig informiert zu haben. Rechtfertigt das die Drohungen mit Sanktionen oder gar mit Gewalt?

Das kann der Fall sein, wenn man die Gefahr sieht, dass sich ein Staat mit Atomwaffen ausstattet und damit andere Staaten der Region bedrohen könnte.

Kann die IAEO Sanktionen gegen den Iran beschließen?

Nein. Die IAEO kann nur feststellen, dass der Iran seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Das ist bereits im letzten September erfolgt. Am 2. Februar wird der IAEO-Gouverneursrat darüber beraten, ob der Fall dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt wird. Der Sicherheitsrat kann dann Wirtschaftssanktionen oder letztlich sogar militärische Maßnahmen beschließen.

Gibt es einen Automatismus?

Nein. Der Sicherheitsrat kann Sanktionen nur beschließen, wenn er eine Bedrohung des internationalen Friedens oder der internationalen Sicherheit feststellt. Das ist eine Bewertung, bei der der Sicherheitsrat über ein weites Ermessen verfügt. Im Falle des Iran werden dabei wohl auch die Äußerungen des neuen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad eine Rolle spielen, der öffentlich massiv das Existenzrecht Israels in Frage gestellt hat.

Könnte der Sicherheitsrat, wenn Sanktionen scheitern, auch militärische Maßnahmen gegen den Iran beschließen?

Ja, und er müsste laut UN-Charta nicht einmal ein Scheitern von Sanktionen abwarten. Es gibt hier keine zwingenden Stufen der Eskalation. Wenn der Sicherheitsrat glaubt, dass Sanktionen nicht effizient wären, könnte er sofort Militärmaßnahmen beschließen. Die Weltgemeinschaft muss mit einer effizienten Reaktion nicht warten, bis der Iran über Atomwaffen verfügt.

Finden Sie es also gut, dass IAEO-Präsident Mohammed al-Baradei jüngst mit Gewalt gedroht hat?

Jedenfalls verdeutlicht es dem Iran den Ernst der Situation.

Wäre ein Militäreinsatz zum jetzigen Zeitpunkt nicht völlig übertrieben?

So schnell dürfte es ja wohl keinen geben. Wir sprachen bisher nur über die völkerrechtlich zulässigen Möglichkeiten der Weltgemeinschaft. Was aber tatsächlich beschlossen wird, hängt bekanntlich von den Mehrheitsverhältnissen im Sicherheitsrat ab. Außerdem gibt es noch das Vetorecht der fünf ständigen Mitglieder. Dieser Kontrollmechanismus wird sicherstellen, dass keine vorschnellen Maßnahmen ergriffen werden.

Falls Russland oder China mit ihrem Veto den Sicherheitsrat blockieren, könnten dann Israel, die USA oder Frankreich vorsorgliche Militärmaßnahmen gegen den Iran ergreifen?

Nein. Israel hatte ja 1981 den im Bau befindlichen irakischen Atomreaktor Osirak bombardiert. Im Weltsicherheitsrat bestand aber damals Konsens, dass dies völkerrechtlich nicht zulässig gewesen sei. Das Selbstverteidigungsrecht einzelner Staaten erlaubt den Einsatz militärischer Gewalt nur bei einem unmittelbar bevorstehenden Angriff.

Kann der Iran den Atomwaffensperrvertrag kündigen und sich so dem Druck der Weltgemeinschaft entziehen?

Grundsätzlich kann der Iran den Vertrag zwar kündigen. Er kann sich damit aber Sanktionen nicht entziehen. Denn Maßstab für den Weltsicherheitsrat ist ja die Bedrohung des internationalen Friedens. Bei dieser Prüfung sind die bisherigen Rechtsverstöße des Iran nur ein Indiz. Und wenn er weitere Verstöße nur vermeiden kann, indem er den Vertrag verlässt, dann dürfte das eher noch ein zusätzliches Indiz für die Gefährlichkeit der Situation darstellen.