: „Ich bin nur ein Mensch – wie Jesus ein Mensch war“
Silvio Berlusconi erhält heute auf einer Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum in Davos den Public Eyes Award. Erstmals wird ein führender Politiker in Europa als unverantwortlichster Unternehmer des Jahres ausgezeichnet. Stellvertretend für den italienischen Ministerpräsidenten nimmt Maurizio Antonini den Preis entgegen. Die taz dokumentiert vorab seine Dankesrede
Verehrte Gäste des Weltwirtschaftsforums in Davos, sehr geehrte Damen und Herren.
Ich bin sehr froh, hier in Davos zu sein. In den nächsten Tagen werden wir – im engen Austausch zwischen Politik und Wirtschaft – die aktuellen Herausforderungen unseres Planeten diskutieren und wichtige und richtungweisende Entscheidungen für die Zukunft treffen.
Das Weltwirtschaftsforum versucht als eine der wenigen internationalen Veranstaltungen nicht die künstliche und verlogene Trennung zwischen Wirtschaft und Politik. Sondern sie bringt die politischen und wirtschaftlichen Führer an einen Tisch und lässt sie ohne bürokratische Kontrollgremien in Ruhe über die Themen unserer Zeit reden und wichtige internationale Geschäfte abschließen.
Das entspricht einem zeitgemäßen und richtigen Bild von Politik und Wirtschaft. Denn Politik und Wirtschaft sind keinesfalls konkurrierende Konzepte, sondern sich gegenseitige wunderbar befruchtende Disziplinen. Die erfolgreiche Zukunft der westlichen Welt, aber auch der internationalen Staatengemeinschaft liegt deshalb maßgeblich in der erfolgreichen Kooperation. Politik und Wirtschaft sollten Komplizen sein.
Und um diese zeitgemäße unternehmerische Verantwortung der Politik bzw. die zeitgemäße politische Verantwortung der Wirtschaft geht es nicht nur auf dem Weltwirtschaftsforum, sondern auch auf dieser kritischen Gegenveranstaltung – dem Public Eye Awards 2006. Hier werden heute besonders unverantwortliche Unternehmen hervorgehoben. Diese Awards und Ihr aller Engagement dafür sind eine sehr wichtige und gute Sache. Die Welt soll von den Ungerechtigkeiten einiger schwarzen Schafe der internationalen Wirtschaft erfahren. Diese schwarzen Schafe darf man allerdings nicht mit der allgemeinen Realität verwechseln. Schwarze Schafe gibt es überall. In unserer internationalen Wirtschaftswelt sind sie allerdings, Gott sei Dank, die Ausnahme. Und sie sind keinerlei Beweis dafür, dass die zunehmende Verquickung von Politik und Wirtschaft etwas Schlechtes ist. So wie es viele Linke und Globalisierungskritiker heute behaupten. Im Gegenteil führt der wirtschaftliche Eigennutz eines jeden bekanntermaßen in der Summe zu einem politischen Gleichgewicht. Und eine klare politische Linie ermöglicht es jedem einzelnen, seinen Eigennutz ohne Schaden für Dritte zu optimieren.
In den letzten Jahren musste ich immer wieder die gleichen Vorwürfe aus dem Lager der Linken hören: „Berlusconi ist nur an der Macht, um seine eigenen Interessen durchzusetzen und sein Imperium zu vergrößern.“ Oder „Berlusconi hat in seiner Regierungszeit ein Vermögen von 29 Milliarden Euro angehäuft und ist damit unter den sieben reichsten Männern der Welt!“ Aber was soll das heißen? Dass ein Politiker vom wirtschaftlichen Erfolg ausgeschlossen bleiben muss? Dass es eine Sünde ist, wenn die eigenen Firmen um jährlich 30 Prozent wachsen und die Wirtschaft des Landes nur um 0,1 Prozent? Hier zeigen sich der Neid der Linken und ihr fehlendes Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge. Denn wie können solche Zahlen stimmen? Wie kann Italiens Wirtschaft auf der Stelle treten, während der mit Abstand reichste Mann des Landes sein wirtschaftliches Ergebnis mehr als verdoppelt? Diese ideologisch gefärbte Rechnung stimmt hinten und vorne nicht.
Aber ich bin nicht hierher gekommen, um italienischen Wahlkampf zu betreiben. Das habe ich nicht nötig. Ich bin hierher gekommen, um Ihnen als Zeichen des Dankes für den Public Eyes Award 2006 zu beweisen, dass ich sehr wohl die Verantwortung für mein Handeln übernehme. Denn als verantwortungsvolle Führungsperson nehme ich meine Verantwortung sehr ernst und lerne aus meinen Fehlern.
Ich gebe Ihnen ein ehrliches Beispiel: Mit dem Abstand von über vier Jahren muss ich heute sagen, dass die Polizeistrategie der repressiven Deeskalation während des G-8-Gipfels in Genua falsch war. Damals war ich davon überzeugt, dass eine einschüchternde Polizeimacht die beste Möglichkeit war, um die Proteste im Keim zu ersticken und eine Gewaltspirale zu verhindern. Das sehe ich heute anders. Die Gewalt der Polizei in Genua war falsch. Ich entschuldige mich für den Toten von Genua. Ja, ich bitte Sie dafür um Verzeihung, die ganze Welt und Gott – weil ich ein Mensch bin, so wie Jesus ein Mensch war, und weil jeder Mensch das Recht hat, zu fehlen.
Als verantwortungsvolle Führungsperson übernehme ich Verantwortung und ziehe meine Konsequenzen. Diese verantwortungsvolle Führerschaft verlange ich aber auch von allen anderen politischen und wirtschaftlichen Führern, ob links oder rechts, ob erfolgreich oder nicht. Denn wenn alle die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, dann werden wir die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam meistern. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen.
MORGEN: „Wenn Berlusconi die Wahl verliert, werde ich mich wählen lassen“: Maurizio Antonini im taz-Interview.