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Archiv-Artikel

Machos mit Herz

Wenn Männer zu sehr lieben: Türkischer Arabesk-Gesang erobert die deutschen Charts. Im Internet erarbeiteten sich Muhabbet oder Mehmet & Murat eine Fanbasis. Nun beißen die Plattenfirmen an

Nach HipHop und deutschsprachigem Soulist das der nächste Trend,der es von den multiethnischen Straßen in den Mainstream schafft

VON DANIEL BAX

Ein Junge steht im Regen. In seiner Erinnerung rauschen Bilder vorbei aus glücklicheren Tagen, die er gemeinsam mit seiner Liebsten verbrachte, aber auch Szenen von erstem Streit und Trennungsschmerz. „Sie liegt in meinen Armen / Ich kann es nicht ertragen“, singt Muhabbet dazu, und in seinem Videoclip kann man sehen, wie er sich dabei voller Inbrunst mit der Faust aufs Herz schlägt.

Mit seinen markanten Gesichtszügen, seinem ornamentalen Gesang und der hemmungslosen Fotoroman-Ästhetik seines Videoclips fällt Muhabbet ein wenig aus dem Rahmen des deutschsprachigen Popdurchschnitts, wie er sich tagtäglich auf Viva und MTV präsentiert. Und in gewisser Weise stellt seine Ballade „Sie liegt in meinen Armen“ tatsächlich ein Novum dar: Es ist die erste Arabesk-Schnulze in deutscher Sprache, die es bis in die deutschen Charts geschafft hat.

Arabesk-Musik, so nennt man in der Türkei jenen Musikstil, der aufgrund seines weinerlichen Gesangs in westlichen Ohren besonders fremd klingt: Böse deutsche Zungen behaupten gar, es erinnere sie an Katzengejammer. Der Vergleich ist allerdings auch nicht ganz abwegig, denn Arabesk-Lieder handeln fast immer von Herzschmerz in allen Varianten. Mal flehen die meist schnurrbärtigen Sänger ihre Geliebte an, ihnen noch eine letzte Chance zu geben; ein anderes Mal beklagen sie ihr Schicksal, das ihnen weder Glück noch Liebe beschert hat.

Bislang kam diese Musik in Deutschland lediglich am Rande vor: Sie erklang im Döner-Imbiss, im türkischen Gemüseladen oder aus dem heruntergekurbelten Fenster eines vorbeifahrenden BMW heraus. Doch nun ist diese Musik endgültig in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Denn junge, türkischstämmige Sänger, die hierzulande aufgewachsen sind, haben die Arabesk-Musik in die Sprache ihrer neuen Heimat übersetzt.

Seinen Song „Sie liegt in meinen Armen“ schrieb Murat Ersin zwar schon vor drei Jahren, Muhabbet („Gespräch unter Freunden“) ist sein Künstlername. Da er jedoch nicht wusste, wie er ihn einer deutschen Plattenfirma schmackhaft machen sollte, stellte er das Stück kurzerhand ins Internet, wo es sich jeder kostenlos herunterladen konnte. Mit durchschlagendem Erfolg: Über 250.000-mal wurde der Titel auf der Internet-Tauschbörse Kazaa abgerufen, sogar aus der Türkei erreichten ihn begeisterte Rückmeldungen.

Mit dieser Resonanz im Rücken bewarb sich der Deutschtürke aus Köln beim Plattenkonzern Sony. Dort erschien „Sie liegt in meinen Armen“ kürzlich als Single, seitdem tingelt der 21-Jährige durch die Fernsehshows der Republik. Seinen Stil, der von deutlichen Anleihen bei Soul und R ’n’ B geprägt ist, nennt er „R’n’Besk“.

Andere lauern noch auf ihre Chance. Leute wie Cetin Cetinkaya, ein ehemaliger Sangespartner von Muhabbet, dessen Songs bislang in Online-Foren zirkulieren. Oder Mehmet und Murat, ein Duo, von dem man wenig mehr weiß als ihre Vornamen. Auch ihre Stücke sind bis jetzt nur im Internet zu hören. Doch weil ihre Texte teilweise so klingen, als seien sie eins zu eins aus dem Türkischen ins Deutsche übersetzt worden, wirken sie stellenweise unfreiwillig komisch. Ein morbid-masochistischer Refrain wie „Stich das Messer in mein Herz / alles soll voller Blut sein“ dürfte die meisten deutschen Hörer jedenfalls wohl eher befremden, auch wenn klar ist, dass es sich dabei um eine Liebeskummer-Hymne handelt und einer türkischen Redensart entspricht. Andere Songzeilen wie „Denkst du, dass ich immer noch auf dich warte? / Nein, nein diesmal ziehst du die Arschkarte“ („Dein Ex“) amüsieren dagegen eher durch ihren holprigen Charme.

Trotzdem haben sich Mehmet & Murat im Internet schon eine richtige Fanbasis erarbeitet, und in türkischen Chatforen findet man hingebungsvolle Lobeshymnen meist weiblicher Fans auf sie. Das liegt sicher an ihrem Mut zum großen Gefühl, um nicht zu sagen Kitsch. Denn Zeilen wie „Wo bist du / Du weißt genau, ich liebe dich / Wo bist du / Du weißt genau, ich brauche dich / Wo bist du / Lass mich bitte nicht allein / Ich liebe dich und sonst keine“ sind an Pathos kaum zu überbieten. So klingt es also, wenn türkische Männer zu sehr lieben.

Mehmet und Murat, Cetin Cetinkaya oder Muhabbet, sie alle gehören zu einer Spezies, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, wenn man Leuten wie der Soziologin Necla Kelek („Die fremde Braut“) glaubt: Machos mit Herz, die so gar nicht dem Klischee des wilden Ghetto-Anatoliers entsprechen, das in den Medien so gerne aufgewärmt wird. Aber, wie fragen Mehmet und Murat in ihrem Song „Wo bist du?“: „Wer sagt es, dass Männer nicht weinen, wer sagt es?“ Ja, wer sagt das eigentlich?

Jetzt aber bitte nicht lachen: Es spricht nämlich einiges dafür, dass dies – nach deutschem HipHop und deutschsprachigem Soul – der nächste Trend werden könnte, der es von den multiethnischen Straßen dieser Republik auf Dauer schafft, sich in der deutschen Musikszene zu etablieren. Ironische Naturen, die alles gerne mit spöttischer Distanz betrachten, müssen jetzt also ganz tapfer sein. Ach ja, und noch eines ist sicher: Der deutsche Schlager kann dann endgültig einpacken.