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Archiv-Artikel

Jetzt ist er scheiße leise

Unter dem Künstlernamen Mark Spoon eroberte der hessische DJ Markus Löffel die Charts und erwarb sich einen Ruf als Ikone der Techno- und Clubkultur. Er wurde nur 39 Jahre alt. Ein Nachruf

von HANS NIESWANDT

„Heftisch“, „krass“ – in den einschlägigen Internet-Foren wurde das Ableben des Frankfurter Musikproduzenten, DJs und gelernten Kochs Mark Spoon schon Stunden später in seinen eigenen Worten kommentiert, in der Raver-Sprache, die er mitgeprägt hatte. Darunter niemand, der die Tatsache seines Todes nicht wirklich ehrlich bedauert und betrauert hätte.

Das ist bemerkenswert, denn Mark Spoon war ein stark umstrittener Charakter. Mit der Betonung auf Charakter, wie man retrospektiv feststellen kann. Solche Typen werden heute nicht mehr hergestellt.

Ja, er hatte Charisma. Seine Präsenz war immens, und sie war nicht die eines Heiligen. Sein Name steht vor allem für die großen, ultraexzessiven Tage der Frankfurter Technoclubkultur in den frühen Neunzigerjahren. Dort wurde er zu einem der ganz großen Zeremonienmeister, neben Sven Väth und dem heute etwas in Vergessenheit geratenen DJ Dag. Als DJ der Flughafendisko Dorian Gray inszenierte er berüchtigte, teilweise mehrtätige Festivitäten, die neue Maßstäbe setzten, was Tiefe und Dauer der Ausschweifungen betraf.

Auch ich hatte einst Gelegenheit, bei einer dieser Feten mitzumachen.

„Bist’n guder DJ“, hatte er eines Nachts in einem Berliner Backstagebereich während der Love Parade zu mir gesagt und mich zu meiner großen Überraschung als DJ zu seiner Geburtstagsparty ins Dorian Gray eingeladen. Die Szene ist mir gut in Erinnerung geblieben, weil er mich dazu so dermaßen autoritär am Arm gepackt hatte, dass ich zuerst gedacht hatte, er wolle mich für irgendwas zur Rechenschaft ziehen.

Es war eine exklusive Ehre, allerdings nur relativ – es waren immer mindestens 30 internationale DJ-Größen präsent, die sich bei diesen Events zwischen Freitagabend und Montagmittag die Kopfhörer in die Hand gaben. Man begab sich dort in eine unwirkliche Zwielicht-Zone der Partykultur, ein endloser, vernebelter Zustand, in dem sich der Raum auflöste und Zeit keine Bedeutung mehr hatte. So schwach Spoon selbst als DJ technisch war – seine vermurksten Übergänge waren notorisch –, so stark war sein Gespür in der Auswahl so genannter „Bretter“, die die Tänzer „willenlos“ machten. Ein zu dieser Zeit für viele höchst begehrenswerter Zustand.

Als Mover und Shaker im deutschen Musikgeschäft hatte er amerikanischen Zuschnitt. Für die Plattenfirma Logic, die mit Projekten wie Snap groß geworden war, hatte er einen skandinavischen Zahnarzt aufgerissen und ihn unter dem Namen Dr. Alban zu einem Knüller gemacht. Produkte für die Galerie zu machen war seine Sache nicht, es ging um Geld und Ruhm, aber nicht auf die zynische, sondern auf die stolze Tour. Das hatte viel mit Frankfurts durchamerikanisierter Nachkriegskultur zu tun.

Zu Beginn der Neunzigerjahre wandte sich Spoon der damals nicht nur musikalisch explodierenden, sondern auch in puncto Hedonismus täglich neue Maßstäbe setzenden Techno- und Raveszene zu. „Der Maggus“ wurde schnell einer der erfolgreichsten Frankfurter DJs, zunächst im Dorian Gray, später als Betreiber der Disko XS. Dort war ich selbst etliche Male nicht nur Zeuge, sondern auch musikalischer Gestalter eines solchen Exzesses.

Parallel verfolgte Markus Löffel, so sein bürgerlicher Name, eine eigene musikalische Karriere mit Projekten wie Age Of Love und Dance2Trance, vor allem aber mit dem Duo Jam & Spoon. Dessen Fähigkeit bestand vor allem darin, neue Underground-Stile wie Trance und Chillout in ein für jedermann verständliches Popformat zu bringen und damit die Charts zu erobern.

Die fluffigen Hits wie „Stella“, „Right In The Night“ oder „Kaleidoscope Eyes“ empfinde ich zwar bis heute als nahezu unerträglich, man kann aber nicht von der Hand weisen, dass sie von Herzen kamen und in einer authentischen Clubkultur geerdet waren.

Mit Hits wie diesen wurde Spoon auch in England ein großer Star, im Grunde noch größer als hier, wo er vor allem ein Frankfurter Original war. Und es ermöglichte das Leben eines Jetset-DJs auf höchstem Niveau, mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Sein Lebenswandel war legendär. Spoon liebte das Feiern und die Ausschweifung wirklich und er hatte eine Menge Intuition, was die Rolle der Musik dabei betrifft.

Intellekt und politische Korrektheit waren keine Faktoren seines Schaffens; er machte den Mund auf, wie es ihm passte, seine kumpelhafte Beziehung zu der Band Böhse Onkelz führte zu einer Spoon-Ächtung in poplinken Kreisen – man konnte ihn eigentlich nicht gut finden, weder musikalisch noch moralisch. Gleichzeitig hatte er aber eben ein Showman-Format, das hierzulande selten ist. Unvergessen sein Auftritt bei der Love Parade, die er in ihren großen Jahren als Darsteller vehement mitgeprägt hatte: „Warum seid ihr so scheiße leise?“, schrie er erbittert von einem Truck der Menge entgegen. Nicht die schlechtesten Worte für einen DJ, um damit in Erinnerung zu bleiben.

Seine härtesten Zeiten hatte er, wie man hörte, eigentlich hinter sich. „Isch mach des nischt mehr“, hatte er sich hinsichtlich seiner Konsumgewohnheiten geäußert. Es war ruhiger geworden um den massiven Mann, der Pläne für ein neues Restaurant in Berlin gehabt hatte, als ihn mit nur 39 Jahren ein Herzinfarkt ereilte. Eine für jeden DJ und jeden Nachtmenschen doch wirklich sehr erschütternde Nachricht.