piwik no script img

Archiv-Artikel

Rechtsextreme Schläger vor Gericht

Premiere in Brandenburg: Erstmals wird Neonazis der Prozess wegen politisch motivierten Mordversuchs gemacht

BERLIN taz ■ Fünf Neonazis stehen seit gestern wegen politisch motivierten Mordversuchs vor der Jugendkammer des Landgerichts Potsdam. Ihnen wird vorgeworfen, im Sommer 2005 einen Angehörigen der linken Szene und seinen Begleiter überfallen und lebensgefährlich verletzt zu haben. Die Angeklagten, vier Männer und eine Frau, sind zwischen 18 und 21 Jahre alt.

Der Prozessauftakt von gestern ist bereits der zweite. Sechs Neonazis, die das 21. Lebensjahr überschritten haben und daher nicht mehr unter das Jugendstrafgesetzbuch fallen, stehen seit dem 20. Dezember vor Gericht. Alle elf Angeklagten sitzen seit dem Überfall in Untersuchungshaft.

Ein Prozessbeobachter von einer Potsdamer Opferberatung sagte, er sehe in beiden Prozessen ein Novum in der Strafverfolgung von Rechtsextremisten. Denn erstmals prüfe das Gericht von vornherein, ob der Mordversuch politisch motiviert ist. Bisher wurden Mordversuche aus der rechten Szene bloß mit „niederen Beweggründen“ in Verbindung gebracht.

Laut Anklageschrift fuhren die elf Neonazis in der Nacht zum 3. Juli 2005 mit der Straßenbahn durch die Potsdamer Innenstadt. Einer von ihnen habe vor einem Döner-Imbiss den ihm bekannten Potsdamer Linken erkannt. Die Rechtsextremisten zogen die Notbremse und überfielen die Jugendlichen. Die 18-jährige Sandra C. habe als Erste losgelegt und den einen mit einer Bierflasche bewusstlos geschlagen. Er erlitt eine schwere Gehirnerschütterung. Seinem Begleiter zerschnitten sie mit einer Glasscherbe das Gesicht. Beide wurden durch zusätzliche Schläge und Tritte lebensgefährlich verletzt.

In beiden Verfahren hätten die Angeklagten den Tod ihrer Opfer „zumindest billigend in Kauf“ genommen, sagte ein Justizsprecher. Drei der Angeklagten kündigten gestern an, beim nächsten Verhandlungstag am Montag eine Erklärung abzugeben. Bei der 18-Jährigen wird damit gerechnet, dass sie sich bei den Opfern entschuldigt.

Brandenburg erlebe seit einiger Zeit eine zunehmende Radikalisierung der Rechtsextremisten, sagte eine Sprecherin des Brandenburger Innenministeriums. Allein in Potsdam gebe es 200 Angehörige der rechtsextremen Szene. 90 von ihnen gelten als Gewalttäter.

Für das Verfahren vor der Jugendkammer sind zwölf Verhandlungstage angesetzt. Für das vor zwei Wochen eröffnete Verfahren sind 17 Tage eingeplant. Mit Urteilen wird Mitte März gerechnet. FELIX LEE