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Vermummt und wir

Obwohl die ehemalige Geisel Susanne Osthoff offensichtlich verwirrt war, entschloss sich das ZDF, ein Interview mit ihr zu senden. Zu Recht?

VON STEFAN KUZMANY

Soll man so ein Interview ausstrahlen? Ein Gespräch, aus dem keine Information hervorgeht außer dieser: Die Gesprächspartnerin ist verwirrt.

Das ZDF hat sich am Mittwoch entschieden, ein Interview mit der bis vor knapp zwei Wochen im Irak entführten Archäologin Susanne Osthoff zu zeigen beziehungsweise in einer stark bearbeiteten Fassung auszustrahlen. Es war bereits am Dienstag aufgezeichnet worden, Frau Osthoff war ins Studio des arabischen Senders al-Dschasira gekommen und hatte sich via Satellit den Fragen von „heute-journal“-Moderatorin Marietta Slomka gestellt. Osthoff war verschleiert, nur durch einen Schlitz waren ihre Augen zu sehen und ein blasses Gesicht zu erahnen.

Der bayerische Vermieter

Und auch Osthoffs Antworten, selbst auf einfache Fragen Slomkas, blieben größtenteils schleierhaft und blass, wie sich in der vollständigen Dokumentation des Gesprächs auf www.heute.de nachlesen lässt: Osthoff springt von einem Thema zum nächsten, beschwert sich über ihren Vermieter im bayerischen Glonn, über die kleinlichen Auflagen des deutschen Staates bei der Unterstützung ihres Archäologieprojektes im Nordirak, bringt plötzlich einen israelischen Geheimdienstoffizier ins Spiel. Sie wirkt gehetzt, bringt kaum einen Satz zu Ende. Vieles, was sie sagt, verschließt sich einer Interpretation und wirkt sinnlos.

Braucht sie Schutz?

„Wir hatten das Gefühl, dass wir Frau Osthoff vor sich selbst schützen mussten“, sagte der ZDF-Sprecher Alexander Stock der Bild. Andere ziehen die Schutzwürdigkeit von Frau Osthoff zunehmend in Zweifel. In der FAZ war zuletzt über BND-Hilfsdienste Osthoffs und ihre Kontakte zu einem ehemaligen Arzt Saddam Husseins zu lesen gewesen, der Artikel endet munkelnd mit den Worten: „Vielleicht weiß die Bundesregierung aber mehr, als sie gegenwärtig zugibt. Sie will Frau Osthoffs Arbeit nicht weiter unterstützen und verhält sich ihr gegenüber auffallend kühl.“ Für Bild, eben noch in hell aufgeregter Sorge um die Archäologin („Wird sie geköpft?“), ist Osthoff jetzt schlicht „vermummt und wirr“.

Das ZDF hatte das Gespräch zunächst überhaupt nicht senden wollen. Aber andererseits handelt es sich bei einem Interview mit der leibhaftigen Frau Osthoff, über deren Motive in den letzten Wochen ja nur spekuliert werden konnte, um einen Scoop. Und kein Medium könnte es sich leisten, auf die Veröffentlichung eines solchen zu verzichten. Schließlich hat ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender entschieden, das Gespräch auszustrahlen – allerdings gekürzt und kommentiert. Gleichzeitig wurde die Langfassung in schriftlicher Form online veröffentlicht. Brender befindet sich eigentlich im Urlaub, für Nachfragen der taz war er nicht zu erreichen. Er will aber auch nicht, dass sich ein anderer an seiner Stelle zu dem Vorgang äußert.

Das klingt ein wenig so, als wäre dem ZDF die Bearbeitung des Osthoff-Interviews peinlich. Das müsste sie nicht sein. Slomka hatte die – wie sich wohl schon in den ersten Sekunden herausstellte – aussichtslose Aufgabe, mit der, wenn nicht unwilligen, dann doch offensichtlich momentan gesprächsunfähigen Person der Zeitgeschichte namens Susanne Osthoff ein sinnvolles Interview zu führen – und sie hat diese Situation professionell gemeistert.

Keiner muss sie verstehen

Die für das große Publikum des „heute-journals“ aufbereitete und kommentierte Interviewfassung vermittelte den Zuschauern einen Eindruck von der schlechten Verfassung Osthoffs, ohne sie dabei vorzuführen. Im Gegenteil: Behutsam wurde versucht, Unverständliches zu erklären und in den Zusammenhang der besondere Situation der Exgeisel einzuordnen.

Wissen wir nach dem ZDF-Interview mehr über Susanne Osthoffs Entführung, über ihre Motive, ihre Pläne? Nein. Aber wir haben sie selbst sprechen gehört. Wir haben sie gesehen. Wir wissen, dass sie im Moment nicht Herrin ihrer Lage ist. Wir können, wir müssen sie nicht verstehen.

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