: „Wir sind anders. Darum geht es“
INTERVIEW JAN FEDDERSEN
taz: Herr Reemtsma, die letzten Sätze Ihres Buches „Folter im Rechtsstaat?“ lauten: „Wir sind, was wir tun. Und wir sind, was wir versprechen, niemals zu tun.“ Wie lautet das Versprechen genau?
Jan Philipp Reemtsma: Dass jeder Bürger sich darauf verlassen kann, in einem Rechtsstaat niemals staatlicher Folter ausgesetzt zu werden. Wenn wir dies infrage stellen, aus was für Gründen auch immer, dann stellen wir unsere Zivilisation in Frage.
Dass auf Folter verzichtet werden soll, sei keine moralische Frage, sondern eine der Sittlichkeit. Was meint dieser Unterschied?
Moral ist mein persönliches Verhältnis zu meiner Mitwelt; Sittlichkeit meint die Maximen unseres Zusammenlebens – auch in den institutionellen Aspekten.
Praktisch hieße das?
Ein Vater, der das Versteck seines entführten Sohnes herausfinden will, darf den Entführer quälen. Aber ein Hoheitsträger, ein Polizist, ein Soldat, darf dieses nicht tun. Und diese Unterscheidung wird in der öffentlichen Diskussion nicht zureichend gemacht.
Ein Ausnahmezustand: Könnte der auch für einen Polizisten gelten?
Nun, es kann ja immer sein, dass jemand sich, auch wenn er Hoheitsträger ist, moralisch genötigt fühlt, etwas zu tun, was er nicht darf. Das ist dann etwas, wofür er einzustehen hat – dass er eine Straftat begangen hat, sich für sie vor Gericht verantworten und eine Strafe akzeptieren muss.
Der Politologe Michael Ignatieff glaubt, dass über das Foltern in Notfällen, auch in staatlichen, gesprochen werden muss, um Regeln zu schaffen.
Das wäre der Bruch. Wenn wir eine Kasuistik des im Zweifelsfall Erlaubten entwerfen, führen wir über den Ausnahmefall die neue Regel ein.
Der Harvard-Professor Alan Dershowitz teilte in der Zeit mit: Folter gibt es sowieso – und wenn das so ist, dann hegt man sie besser juristisch ein.
Passierte dies, wäre das eine Katastrophe. Winfried Brugger, Alan Dershowitz, Jeffrey Gedmin in der Welt – sie alle argumentieren ähnlich und bedenken nicht konsequent, was solche Vorschläge bedeuten würden.
Klären Sie uns bitte auf.
Wenn es solche Gesetze gibt, dann müssten sie besagen, welche Methoden man anwendet. Wie weit geht man denn eigentlich? Alle, die das befürworten, sagen ja nicht: Alles muss erlaubt sein. Sondern dass es da selbstverständlich Grenzen geben muss. Also müssen diese Grenzen definiert werden.
Eben diese: Was unterscheidet ein „energisches Verhör“ (Michael Ignatieff) von Folter?
Ein Verhör bedeutet immer Stress, anders geht es auch nicht. Der Verhörte hat nicht das Recht zu sagen, ich mag jetzt nicht mehr, machen Sie übermorgen weiter. Gleichwohl darf es nicht zum Schlafentzug werden.
Was würde es für unsere Rechtskultur bedeuten, Folter zu legalisieren?
Wir müssten ein Gesetz machen … und dann müsste über Methoden geredet werden, über all dies muss man sich im Parlament streiten. Und das müsste in Parteiprogramme hineingeschrieben werden, denn ich möchte ja wissen, wie die Partei, die ich wähle, sich zu dieser Frage verhält. Und schließlich bekämen wir eine öffentliche Diskussion über Foltermethoden. Darf man Schlafentzug machen? Darf man Leuten Knochen brechen? Darf man sie unter Strom setzen? Darf man Zigaretten auf ihnen ausdrücken? Was darf man eigentlich? Überlegen Sie, was das bedeuten würde.
Was glauben Sie?
Einen zivilisatorischen Fortschritt, auf den wir Grund haben stolz zu sein, preiszugeben. Es würde eine Barbarisierung der Öffentlichkeit bedeuten.
Nun geht es, so auch der Chef des Berliner Aspen-Instituts, Jeffrey Gedmin, ja darum, andere Menschen zu retten.
Das sagen sie alle, die für eine Lockerung des Folterverbots sprechen. Sie glauben, es gelte immer nur in Fällen, wo keine Zweifel sind, dass derjenige wirklich jener ist, der verantwortlich ist dafür, dass irgendwo „die Bombe tickt“. Aber bei allem, was nicht grundsätzlich verboten ist, kann man sich auch irren. Die Legalisierung der Folter würde bedeuten, dass irgendwann irgendein Unschuldiger gefoltert wird. Das würde bedeuten, dass jeder damit rechnen muss, dass es wieder möglich ist, der Folter unterworfen zu werden. Das ist in Europa seit dem 18. Jahrhundert nicht mehr der Fall – außer in Diktaturen.
Selbst Linksliberale wie Michael Ignatieff meinen, die terroristische Gefahr lasse nicht zu, dass man ohne schmutzige Hände aus dem Dilemma herauskomme.
Ich habe mal jemanden argumentieren hören, man müsse sich immer dem Niveau seiner Gegner anpassen. Das klingt ja zunächst sehr plausibel. Aber es geht nicht nur darum, am Leben zu bleiben, sondern die zivilisatorischen Werte zu erhalten, die die anderen angreifen. John McCain, republikanischer Senator in den USA und jüngst erfolgreich gegen die Bush-Administration mit seinem Gesetz gegen die Folter, sagte: We are different. Darum geht es. Wir sind anders. Darum wollen wir uns nicht so verhalten wie die anderen.
Nun werden in der Debatte dramatische Szenarien entworfen: Tausende in Gefahr …
… aber jene, die von dieser Prämisse ausgehen, sagen nicht, wie weit sie eigentlich gehen wollen. Nehmen wir mal an, man hat einen vor sich, der selber so schmerzresistent ist, dass man mit ihm anstellen kann, was man will. Soll man dann sein Kind nehmen und foltern? Das ist ja vielleicht auch nur ein Leben – ein weiteres gegenüber tausenden? Keiner von denen, die diese Szenarien entwerfen, würde sagen: Ja, das würde ich befürworten. Das nicht – aber warum eigentlich nicht? Wenn es nur um die Rechnung Leben gegen Leben geht: Warum denn nicht?
Es gelte, heißt es, die Barbarisierung durch den Terrorismus zu verhindern.
Ein bisschen scheinen jene, die dies so meinen, die Nerven zu verlieren. Diejenigen, die sagen, wir müssen jetzt über irgendwelche Extremfälle reden, die so übrigens ja noch nie eingetreten sind, die machen sich nicht klar, was sie eigentlich damit anrichten. Sie wollen nicht als sentimentale Weichlinge, als bleeding hearts, gelten.
Was Folterer ja nie sind.
Das kommt bei dieser Diskussion hinzu: Wenn in irgendeiner Weise Folter legalisiert würde, dann werden wir irgendwann in der Polizei und im Militär auch Triebtäter haben. Einfach weil die Leute die Berufe wählen, die sie gerne ausüben. Dann haben sie die Sadisten dort.
Zum deutschen Tagesgeschäft: Darf man Ermittlungsprotokolle verwenden, deren Ergebnisse möglicherweise mit Folter zustande kamen?
Eines der fundamentalen Prinzipien des Rechtsstaates ist, dass das Material, das illegal erhoben worden ist, vor Gericht nicht verwendet werden darf. Punktum. Und selbstverständlich geht es nicht an, dass irgendein Staat sagt, wir verhören zu unseren Bedingungen – aber den Freunden aus dem Westen lassen wir die weiße Weste. Das ist zutiefst unmoralisch von jenen, die sich die Hände nicht schmutzig machen – das wäre Informationshehlerei. Der Hehler ist gleich dem Stehler, so sagt man.
Foltergeständnisse taugen doch ohnehin nichts.
Das obendrein. Man weiß doch aus der Geschichte der Folter, dass man Menschen so quälen kann, dass sie alles sagen. Erfolterte Aussagen sind notorisch unzuverlässig.
Wenn ein deutscher Nachrichtendienst Ermittlungsprotokolle aus Syrien hat …
… was heißt denn bitte „hat“? Die kommen ja nicht einfach mit der Post. Sondern man fragt ja da an: Können wir die bitte haben? Das heißt, man kooperiert mit diesen Regimen, man macht Arbeitsteilung – man macht mit.
Gerade Länder wie Syrien oder Saudi-Arabien sind die Operationsbasen islamistischer Terroristen. Sollte man nicht das Wissen dieser Länder nutzen? Oder ist es durch Folter kontaminiert?
Um Kontamination geht es nicht. Sondern ob ich durch meine Kooperation Regime, die gewohnheitsmäßig Menschenrechte verletzen, auf diese Weise stabilisiere und indirekt legitimiere. Wenn es wirklich nur darum ginge, dass plötzlich in meinem Briefkasten ein Verhörprotokoll auftaucht, das sagt, morgen wird im Hauptbahnhof eine Bombe losgehen, dann würde ich ja nicht sagen, nein, dann soll die da mal hochgehen. Es geht ja nicht nur darum, dass diese Regime den mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen foltern, sondern auch und vermutlich vor allem Menschen, die Dinge tun, die wir für richtig und gut und vernünftig halten, weil sie gegen Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern opponieren.
Das wäre der Preis, heißt es aus der Bush-Administration, den der Westen zahlen muss.
Wir zahlen ihn ja nicht, sondern die Menschen, die umgebracht und gequält werden. Die zahlen den Preis dafür, dass wir meinen, unsere Sicherheit sei nicht anders zu haben.
Ist es nicht trotzdem sinnvoll, Informationen über geplante Attentate zu bekommen?
Natürlich ist die Versuchung groß. Doch ich würde gern mal wissen, was denn an Katastrophen tatsächlich verhindert worden ist.
Wir werden es nie erfahren.
Nein, das werden wir nicht. Jeffrey Gedmin schreibt eben dies: dass Schlimmes verhindert worden sei. Aber welcher Geheimdienst gibt Publizisten wie Herrn Gedmin die Informationen, dass er vollkommen sicher sagen kann, die Folter habe schon viele, viele Menschen gerettet. Er weiß es nicht, er nimmt es mal an. So trägt er dazu bei, unsere kulturellen Standards zu senken.
Ist das Foltertabu bereits gebrochen?
Ich rede ungern prognostisch. Die Bestätigung des Folterverbots in den USA durch die Initiative von John McCain war erfolgreich. Die USA verfügen über erstaunliche Selbstheilungskräfte. Trotzdem erschreckt mich, mit welcher Vehemenz von der Welt bis zur Zeit Stimmen abgedruckt werden, die der Einschränkung des Folterverbots das Wort reden. Alan Dershovitz hat früher den israelischen Obersten Gerichtshof zustimmend mit den Worten zitiert, Demokratien müssen manchmal mit einer Hand auf dem Rücken gefesselt kämpfen. Aber am Ende werde diese Zurückhaltung das sein, was ihren Sieg in diesen Kämpfen ausmachen werde.
Müsste die nächste Selbstheilungstat der USA nicht die Auflösung Guantánamos sein?
Selbstverständlich. Guantánamo ist ein rechtsfreier Raum – und das ist nicht zu tolerieren. Allerdings ist auch von Seiten der UNO versäumt worden, den Status solcher Gefangenen zu definieren. Sie gelten nicht als Kombattanten und nicht als Kriminelle – sondern als etwas Drittes. Wie immer man das definiert, es muss dann wiederum ein Status mit eigenen Rechten sein.
Denn einen rechtsfreien Raum kann es nicht geben.
Nein, den kann es nicht geben. Hannah Arendt hat gesagt, das wichtigste Menschenrecht ist, Rechte zu haben. Und mit Guantánamo ist dieses Recht, Rechte zu haben, außer Kraft gesetzt.