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Archiv-Artikel

Beim Fallen zugeschaut

Ein charismatischer Julian Casablancas, drei ordentliche Mucker und viele neue Songs, die keinen großen Eindruck machten: Die Strokes stellten bei einem Konzert in Berlin ihr drittes Album, „First Impression of Earth“, vor, das Ende des Jahres erscheint

von TOBIAS RAPP

Die wichtigste Nachricht vorweg: Es wird nicht reichen. „First Impression of Earth“ wird die Strokes nicht retten, wird nach ihrem gefloppten zweiten Album nicht noch einmal den Zauber ihres Debüts „Is This It“ entfachen. Ein Album reicht für die Unsterblichkeit, für die Karriere nicht. Das dritte muss es bringen. Sonst bist du weg vom Fenster.

Nicht dass die Strokes unschuldig wären an einer Atmosphäre, die die Veröffentlichung ihres neuen Albums erwartet wie den Börsengang eines Lifestyle-Unternehmens – doch wie sie da so stehen auf der Bühne des kleinen Berliner Clubs Maria am Ostbahnhof für das einzige Deutschlandkonzert ihrer Promo-Europa-Kurztour: Man hatte ein wenig Mitleid.

Was für ein Aufwand das auf einmal bedeutet, eine Aufregung zu erzeugen, die sich vor vier Jahren noch von allein ergab. Wie wichtig die künstlich erzeugte Exklusivität von nur 350 in den freien Verkauf gelangter Tickets ist, um jenes Gefühl der Aufregung zu erzeugen, das es braucht, um den Hype zu unterfüttern, der die Veröffentlichung der Platte in zwei Wochen dann tragen soll. Wohin mit all den Erwartungen? Frei von Tragik ist das alles nicht, was hier veranstaltet wird. Denn sie stehen immer noch ziemlich einzig da: Nicht nur, weil sie die erste dieser neuen, jungen, hippen Wir-rocken-wieder-Bands waren, die seitdem aus England und den USA im Wochenrhythmus auftauchen. Nicht dass sie musikalisch übermäßig viel mit den anderen zu tun hätten – haben sie nicht. Rezeptionsmäßig hängen sie allerdings alle an den gleichen Nervenenden. Vor allem weil die Fallhöhe so groß ist. Und weil man ihnen beim Fallen zusehen kann. Und man sieht, wie sie merken, dass sie fallen. „I’m so fucking confused“, murmelt Julian Casablancas irgendwann nach dem ersten Drittel des Konzerts, nachdem sie mit den Stücken ihrer neuen Platte keinen großen Eindruck machen konnten. Kaum aber schalten sie auf die alten Gassenhauer um, tobt der Saal. Wobei einem die Hipness der Strokes, wie sie da auf der Bühne stehen, wie ein riesiges Missverständnis vorkommt: Ja, da gibt es den einigermaßen charismatischen Sänger Julian Casablancas, der als Sohn eines millionenschweren New Yorker Model-Agentur-Chefs und als prominent verwirrtes Zentralgenie der Gruppe auch den attraktiv kaputten Charme einer frühen Brett-Easton-Ellis-Kurzgeschichte ausstrahlt. Wie er da auf der Bühne steht in seinem dicken, dunklen Uniformmantel, den langen Haaren und dem verschmierten Augen-Make-up, wirkt er wie die ideelle Mischung aus Lou Reed und dem finnischen Gruftpopper Him.

Doch der Rest der Band besteht aus Muckern. Sie sind hervorragend eingespielt, ticken wie ein Uhrwerk, verziehen keine Miene, rocken souverän ihren Krempel herunter, und der eine Gitarrist schmeißt nach der dritten Zugabe sogar sein Plektrum ins Publikum – die ultimative Muckergeste! Wahrscheinlich geht es ihnen mächtig auf die Nerven, ständig irgendwelchen Pop-Lifestyle-Magazinen Interviews geben zu müssen: Die hier lesen Gitarre & Bass, wenn sie gerade Aufnahmepause haben.

Nein, es ist kein schlechtes Konzert, es ist sogar ein ganz guter Auftritt – solange sie eben das Material der ersten beiden Alben spielen. Diese ganz besondere Art von Velvet-Underground-Nachbau unter Television-Einfluss funktioniert noch immer und wird es wahrscheinlich immer tun. Diese Riffs, die sich weigern, ihre Tonart zu ändern, sondern einfach immer weiter geradeaus gehen, unterbrochen von eleganten, kleinen Breaks und zentriert um die Stimme von Julian Casablancas.

Doch wann immer ein Stück des neuen Albums kommt, funktioniert gar nichts mehr. Voll gepackt mit Hardrock-Elementen wie komischen Skalen, die die Gitarre neben dem Schlagzeug-Break spielt, oder mit Gitarrensoli, die eben kein funktionaler Krach mehr sind wie bisher, sondern Gesten der Expressivität, die nicht passen zu der kaputten Coolness des Strokes-Sound, in den sie sich einzufügen versuchen. Einzig „Juicebox“ macht eine Ausnahme, die erste Single mit ihrem B 52s-Grundgefühl, und „Razorblade“. Letzteres aber vor allem wegen seines auf Barry Manilows „Mandy“ basierenden Hook. Aber so fantastisch „Mandy“ ist: Wenn sich die Strokes bei einem Schmierlappen wie Manilow ihre Refrains abholen, dann haben sie wirklich ein Problem.

Nach siebzig Minuten ist der Spaß vorbei. Acht Stücke sollen sie in London gespielt haben, hier sind es gut dreimal so viel – was immer das heißen mag. Am Schluss schmeißt Casablancas routiniert seinen Mikrofonständer um. Es ist nicht peinlich, sondern gekonnt. Immerhin.