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Archiv-Artikel

Das neue Vakuum

Vor dem Hamburger Landgericht begann der Prozess gegen 15 Zuhälter mit einem Schaulaufen. Nach den Razzien gegen die „Marek Gruppe“ befindet sich der Kiez auf St. Pauli im Umbruch

von Magda Schneider

Der gestrige Auftakt im St. Pauli-Zuhälter-Prozess gegen die so genannte „Marek-Gruppe“ vor der Großen Strafkammer 12 des Hamburger Landgerichts ist filmreif: Die einen sind teilweise in Bomberjacken gehüllt, die anderen lediglich cool mit Sonnenbrillen vermummt, als die 15 Angeklagten in der Formation einer Entenfamilie dicht hintereinander den legendären Saal 337 des Strafjustizgebäudes betreten – begleitet von einem ebenso großen Tross an AnwältInnen. Dieser extra umgebaute Saal war Anfang der 80er Jahre Schauplatz des Mammutverfahrens gegen die berüchtigte Rockertruppe „Hells Angels“.

In dem Rotlicht-Millieu-Verfahren gegen die 15 Luden geht es für Kiez-Verhältnisse vergleichsweise um Peanuts. Gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung, unerlaubter Waffenbesitz und Zuhälterei, so die Anklage. Dass die 15 kräftigen und trainierten Männer überhaupt vor dem Kadi stehen, ist dem Umstand einer missglückten Bestrafungsaktion zuzuschreiben. Der Wirbel rief prompt die Polizei auf den Plan und hat inzwischen das gesamte Machtgefüge rund um die Amüsiermeile Reeperbahn durcheinander gebracht.

Dabei schien der Anlass banal zu sein. Zwei Mitglieder der Marek-Gruppe, Rene H. und Peter H. – Spitzname „Mannheimer Peter“ – hatten den Versuch unternommen, mit einem Bordell in der Herbertstraße auf eigene Rechnung zu arbeiten – einem Areal, das ebenso wie der umliegende Straßenstrich, seit Jahren von Zuhälterboss Carsten Marek kontrolliert wird. Marek hatte das Terrain erobert, nachdem vor fünf Jahren ein Vakuum entstanden war. Türkische und albanische Zuhälter hatten sich in wilden, bleihaltigen Revierkämpfen gegenseitig außer Gefecht gesetzt, und auch die neue Generation der Hells Angels, die zum Teil brutal ihre Sexarbeiterinnen misshandelten, war von der Polizei aus dem Verkehr gezogen worden.

Der 2. Mai dieses Jahres sollte der Tag der Abrechnung mit den neuen Konkurrenten aus den eigenen Reihen sein. Eine Horde maskierter Marek-Schläger lauert dem Selbständigen abends kurz vor Geschäftsbeginn mit Baseballkeulen und Totschlägern auf – aber die als Denkzettel gedachten Prügel artet schnell zum Wild-West aus. „Mannheimer-Peter“ zieht seinen Revolver und feuert auf die Gang, flüchtet dann ins Cafe „Günter Jauch“ und verbarrikadiert sich. Zuvor hatte einer der Marek-Leute noch Rene H. einen Wadenschuss verpasst. Auch wenn die Gruppe flüchten kann, ist schnell ermittelt, wer hinter der Aktion steckt.

Im Juli holt die Polizei zum großen Schlag aus: 450 BeamtInnen filzen 28 Wohnung der Marek-Gruppe, sammeln Material gegen die Angeklagten. Dem Boss Carsten Marek ist jedoch nichts nachzuweisen.

Im November setzt die Polizei einen drauf. Diesmal sind 700 PolizistInnen im Einsatz und Marek ist direkt im Visier. Er wird bei einer Unterredung im East-Hotel mit anderen Zuhältern festgenommen. Gegen den Zuhälter-Boss wird demnächst in einem eigenen Verfahren verhandelt, die Anklage lautet auf schweren Menschenhandel und Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Im laufenden Verfahren dagegen können sich die Marek-Leute noch gelassen geben. Ist es im Milieu doch nicht unbedingt üblich, gegeneinander auszusagen.