: Der irre Prediger
Seine Geburtsstadt Mannheim mag das neue Jerusalem sein und der Königstuhl der Berg Zion – doch wenn der Herr nicht hilft, muss der Mensch es richten. Xavier Naidoo wendet sich auf seinem neuen Album der Politik zu: irgendwann muss der deutsche Motor doch anspringen!
VON THOMAS WINKLER
Wenn die Kaffeemaschine nicht mit schnödem Leitungswasser befüllt wird, sondern mit Evian, dann hat man es wohl geschafft. Der Reisebus rollt über die Stadtautobahn, gereicht werden Fruchtquark und Vollkornsandwiches mit Tomatenpesto in Papptüte, auf den Monitoren singt Xavier Naidoo und unter den Monitoren blickt der echte Xavier Naidoo ernst in die Runde. Manchmal nickt er mit dem Kopf im Takt. Kaffee trinkt er keinen.
Den Kaffee trinkt das halbe Dutzend Medienmenschen, die zwei Stunden durch Berlin gekarrt werden, um in Anwesenheit des Künstlers dessen neuem Album zu lauschen. Das trägt den Titel „Telegramm für X“ (Naidoo Records/SPV) und markiert eine nicht unerhebliche Trendwende im Schaffen des Mannes, der im Alleingang das Genre Soul in deutscher Sprache begründete.
Seinem christlichen Glauben hat Naidoo zwar nicht abgeschworen, aber „diesmal hat mir das Thema nicht so auf der Seele gebrannt“. Die Folge: Nur ein einziger eindeutig religiöser Song, „Es ist an der Zeit“, findet sich auf dem Album. Die alttestamentarischen Anspielungen, die biblische Sprache aber sind weiter in Gebrauch: Diesmal nur benutzt sie der Hobbyprediger vornehmlich für Liebeslieder und Erbauungssongs. Da reimt sich „Zeilen aus Blut“ auf „kostbares Gut“, wird auf den „Engel auf Erden“ gewartet oder „jubiliert“ die Seele des Sängers, kurz: Es sind „Lieder, die Herzen durchbohr’n“, dabei allerdings bisweilen in den Klamauk zu kippen drohen: „Frage deine Ahnen, deine Vorfahren/Sie heißen Vorfahren, obwohl du vorfährst.“ Währenddessen blickt der Dichter selbst seriös durchs Busfenster. Mancher dieser Texte hat einfach nur Glück, dass er von Naidoo so unwiderstehlich gesungen wird.
Wie auch dieser hier: „Ich scheiß auf eure Demokratie/So ungerecht war sie noch nie.“ Offensichtlich hat sich der „Jesus der Hitparaden“ (Der Spiegel), und das kommt dann doch überraschend, statt wie gewohnt den Herrn zu preisen, der Politik zugewendet. Gleich mehrere Songs, nicht nur das zitierte „Abgrund“, in dem auch „ungerechte Steuern“ beklagt werden, sind als solche interpretierbar. Was den Urheber in seinem von der Plattenfirma gecharterten Reisebus nicht weiter stört. „Dieser Weg“, die bereits auf den einschlägigen Musikkanälen schwer rotierende erste Single, „passt ganz gut auf die Situation Deutschlands.“ Diese Situation, führt Naidoo im weiteren Verlauf unseres kleinen Ausflugs aus, wäre am einfachsten zu verbessern, „wenn man jemanden hätte, der sagt, wo es langgeht. Ich will jetzt auch nicht den starken Mann ausrufen, es kann ja auch eine starke Frau sein. Wir haben jetzt eine starke Frau, aber die kann ja auch nicht so, wie sie will.“ Er selbst, sagt er, glaube zwar nicht an die Demokratie, wäre aber bereit, alles zu tun, „um den Motor in Gang zu bringen“.
Xavier Naidoo gehört zu diesen Menschen, die so etwas sagen können und dabei trotzdem noch unglaublich sympathisch wirken. Womöglich sind solche Überzeugungen ja auch die logische Folge des Status, den sich der nun auch schon 34-Jährige mittlerweile erarbeitet hat. Während er einen jahrelangen Rechtsstreit gegen die Knebelverträge seines ehemaligen Mentors Moses Pelham führte, der erst in diesem Jahr in allerletzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht zu seinen Gunsten entschieden wurde, baute der Mannheimer in seiner Heimatstadt zusammen mit seinem Partner Michael Herberger einen erfolgreichen mittelständischen Betrieb auf, der nun, so schätzt Naidoo, gut drei Dutzend Menschen ernährt. In einer ehemaligen Druckerei hat man sich eingerichtet, mit der „Absicht, alles selbst zu machen“, man könnte auch sagen: die Wertschöpfungskette so komplett wie möglich zu kontrollieren. Dazu wurden neun Studios gebaut, von denen acht vermietet sind.
Aufgenommen werden eigene Songs und in Auftrag gegebene. Jederzeit stehen Toningenieure zur Verfügung, falls Naidoo eine Idee festhalten möchte, Songs werden geschrieben und an die bundesdeutsche Popprominenz von Ben bis Yvonne Catterfeld verscherbelt. Die Keimzelle waren und sind die Söhne Mannheims, Naidoos erfolgreiches und bis Ende 2006 erst einmal pausierendes Nebenprojekt, aber die HipHop-Allstar-Gruppe Fourtress gehört ebenso zur Gemeinschaft wie das Produzententeam Camp Davis, weitere Musiker, Songschreiber, Sänger, Grafiker, Bühnentechniker oder Plattenfirmenmitarbeiter. Synergien entstehen da zwangsläufig. Eine Hitfabrik also, nicht nur zufällig in der Tradition der Soulschmiede Motown.
Das Ziel der Unternehmung ist, nicht nur „zusammen zu arbeiten mit Menschen, mit denen man eine gemeinsame Vergangenheit hat“, die alte Idee von der nicht entfremdeten Produktion also, sondern auch ganz neokonservativ „Arbeitsplätze nach Mannheim zu bringen“. Denn die fehlen dort, obwohl Naidoo immer noch davon überzeugt ist, dass seine Geburtsstadt das neue Jerusalem und der Königstuhl der heilige Berg Zion ist. Wenn der Herr nicht hilft, muss es der Mensch selbst richten: Naidoo ist an einer Mannheimer Kart-Bahn beteiligt, ein anderes Projekt, die Luxusauto-Vermietung Mannheim Mobiles, ist dagegen gescheitert. Die Naidoo-Herberger GbR ist seit diesem Sommer zudem mit fünf Prozent Gesellschafter der Popakademie Mannheim, wo Naidoo bereits zuvor im Fach „Songwriting“ dozierte, und hat sich verpflichtet, jährlich 50.000 Euro zur Ausbildung des Popnachwuchses beizusteuern. Anlässlich des Engagements lobte der baden-württembergische Staatsminister Willie Stächele die beiden Spender als „weit über Mannheim und Baden-Württemberg hinaus wirkende wichtige Botschafter“.
Bleibt die Frage: Was ist die Botschaft? Die des Herrn? Dass Naidoo nicht mehr nur Sänger ist, sondern auch Unternehmer? „Gemeinsam mehr aus Deutschland machen“ (CDU 2001)? Oder: Ein Sänger sollte singen. Alles andere ist überflüssiger Luxus. Wie Evian in der Kaffeemaschine.