: „Frauenkörper wehren sich schlechter“
Der kranke weibliche Körper ist für Mediziner ein Rätsel. Die Düsseldorfer Neurologin und Aidsforscherin Gabriele Arendt spricht im taz-Interview über die mangelhafte Aidsforschung und die zu späten Diagnosen deutscher Ärzte
taz: Die Aids-Medikamente werden immer besser, geforscht wird aber fast ausschließlich an Männern. Profitieren Frauen überhaupt vom medizinischen Fortschritt?
Arendt: Schon. Die neueren Medikamente wirken zum Glück bei allen besser. Frauen leiden allerdings bei manchen Medikamenten-Kombinationen unter stärkeren Nebenwirkungen als Männer. Durch Aids-Medikamente verteilt sich das Körperfett neu: Arme, Beine und Gesicht werden hager, Bauch und Nacken speckig. Das ist bei Frauen viel ausgeprägter als bei Männern und belastet sie stark, weil es furchtbar aussieht. Frauen leiden auch stärker unter Übelkeit.
Frauen brauchen also andere Medikamente als Männer.Noch nicht einmal das ist sicher, weil Frauen so schlecht erforscht sind. Es gibt nur so gut wie keine pharmakologische Aidsstudien mit Frauen. Pharmafirmen konzentrieren sich bei ihren Studien auf Männer. Einmal, weil die von HIV stärker betroffen sind und dann ist es ja teurer, immer noch eine Vergleichsstudie zu machen. Bei Frauen besteht außerdem immer das Risiko einer Schwangerschaft. Deshalb lehnen es viele Frauen von sich aus ab, an medizinischen Tests teilzunehmen. Sie haben Angst, dann nie wieder ein gesundes Baby zur Welt bringen zu können, was ja inzwischen auch mit einer HIV-Infektion möglich ist.
Verläuft die Krankheit denn anders als bei Männern?Ein Frauenkörper kann sich schlechter gegen die Aids-Viren wehren. Eine Frau, bei der die Krankheit ausbricht, hat mehr Helferzellen und weniger Viren im Blut als ein Mann. Das weibliche Immunsystem ist da offenbar schwächer als das männliche. Möglicherweise liegt das an den hormonellen Unterschieden, aber auch darüber gibt es nur wenige und widersprüchlich medizinische Erkenntnisse. Frauen haben in jedem Fall bei einer Aidserkrankung andere Bedürfnisse als Männer.
Was brauchen denn erkrankte Frauen was Männer nicht unbedingt brauchen?Eine individuelle Ernährungsberatung zum Beispiel, denn auch auf Nahrung reagieren Frauen anders als Männer. Sehr wichtig ist aber auch eine intensive psychologische Betreuung, denn das psychische Wohlbefinden hat enormen Einfluss auf den Krankheitsverlauf.
Gilt das nicht für alle Kranken?Homosexuelle Männer und drogenabhängige Infizierte haben wenigstens ihre Peer-group, mit der sie sich über ihre Krankheit und die damit verbundenen Probleme austauschen können. Infizierte Frauen haben das nicht. Sie sind keine geschlossene Gruppe. Sie sind die Breite der Bevölkerung, in der die Krankheit viel stärker tabuisiert ist. Aids ist in der Gesellschaft eine Krankheit von Schwulen und Fixer. Für Normalbürger ist sie nicht vorgesehen. Deshalb sind Frauen mit ihrer Krankheit viel stärker isoliert. Die Krankheit wird bei ihnen deshalb auch viel später erkannt als bei Männern.
Aber unter Medizinern ist schon bekannt, dass ein Viertel aller HIV-Infizierten Frauen sind?Theoretisch natürlich schon. Trotzdem wird bei Frau Meier von nebenan bei andauernder Abgeschlagenheit erst sehr spät ein HIV-Test gemacht. Viele Ärzte haben nicht verinnerlicht, dass Aids jeden betrifft. Und so werden HIV-Infektionen bei Frauen meistens entdeckt, wenn sie schwanger sind und dann ein routinemäßiger Aidstest gemacht wird. Vermutlich verläuft die Krankheit auch deshalb bei Frauen anders, weil sie zu spät behandelt wird.
INTERVIEW: MIRIAM BUNJES