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Archiv-Artikel

„Das bekommen wir rechtsstaatlich in den Griff“

Wenn man damit Verbrecher fangen kann, ist die Änderung des Mautgesetzes erlaubt, meint Exdatenschützer Hans Peter Bull

taz: Herr Bull, als die Maut kam, hieß es, die Daten würden nur zu Mautzwecken verwendet. Wenige Monate später will der Innenminister damit schon auf Fahndung gehen. Ist das korrekt?

Hans Peter Bull: Ich denke schon, dass eine Änderung des Mautgesetzes zulässig ist, die es erlaubt, nach gestohlenen Wagen zu fahnden. Wenn Schwerverbrecher auf diese Weise gefasst werden können, ist das erst recht ein legitimer Zweck.

Hurra, „Big Brother“ ist bei uns: Die Bundesrepublik hat einen flächendeckenden Überwachungsapparat.

Das Mautsystem ist kein Überwachungssystem für alles und jeden. Wenn eine vorhandene technische Möglichkeit für hochrangige andere Zwecke genutzt wird, braucht daraus noch lange kein Klima der Unfreiheitlichkeit zu entstehen. Es wird eben nicht jeder auf Schritt und Tritt beobachtet. Und wenn es je eine rechtsstaatsfeindliche Regierung gäbe, die das Mautsystem derartig nutzen wollte, so würde sie entweder von der öffentlichen Meinung und den Gerichten daran gehindert – oder sie würde sich über die Rechtsnormen hinwegsetzen.

Manche fühlen sich nun aber überwacht – aus dem Gefühl vieler Einzelner kann sehr wohl ein Klima der Unfreiheitlichkeit entstehen.

Das wäre aber unbegründet. Die Medien sollten darüber aufklären, was der Staat wirklich kann und will, statt diffuse Ängste zu wecken oder zu verstärken. In der Datenschutzdebatte wird leider die Warnung vor Gefahren immer mit der Beschreibung der Realität verwechselt. Tatsächlich haben die Warnungen ja dazu geführt, dass es eine wirksame rechtstaatliche Kontrolle der Datenverarbeitung gibt.

Sie selbst haben vor 25 Jahren die Rasterfahndung kritisiert, weil sie staatlich und privat erhobene Daten vermische. Ihr ehemaliger Kollege Spiros Simitis sagt, es gebe keinen Unterschied mehr zwischen öffentlich und privat gesammelten Daten. Dies mache den Datenschutz letztlich lächerlich, weil wirkungslos.

Ich teile Herrn Simitis’ Meinung nicht. Das Beispiel Rasterfahndung zeigt, dass nicht der maschinelle, klinisch sterile Abgleich von Daten das Problem ist. Die ganz große Mehrzahl der Betroffenen ist selbstverständlich nicht „verdächtig“ – und wird auch nicht so behandelt. Die Stigmatisierung kommt aus der Gesellschaft und entsteht bei der polizeilichen Fahndung erst durch die Bekanntgabe der Methode – nicht durch die Methode, die Rasterung, selber. Sie entsteht gar nicht, wenn eine aufgeklärte Öffentlichkeit ihr entgegentritt. Beim Mautsystem ist es etwas anderes: Aufgrund der Kennzeichen können individuell bestimmte Wagen herausgesucht werden wie die Nadel aus dem Heuhaufen. Die Suche selbst ist legitim, und der allergrößte Teil des Heuhaufens bleibt dabei intakt.

Was aber, wenn der Heuhaufen die Risiken nicht kennt? Viele sagen, Datenschutz sei für sie kein Thema mehr, seitdem sie ihre Flüge im Internet buchen und den Überblick über ihre Daten sowieso verloren haben.

Dieser Wandel des Bewusstseins findet längst überall statt. Dass manchem dabei unbehaglich wird, ist sehr verständlich. Tatsache ist aber, dass keiner in der Lage ist, die Herrschaft über alle Daten zu bewahren, die von ihm in Umlauf sind. Das ist der Preis, den zu zahlen hat, wer seine Daten in einen Computer füttert. Es ist letztlich der Preis dafür, dass wir nicht wie Robinson leben können.

Trotzdem läuft das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das vom Bundesverfassungsgericht 1983 formuliert wurde, damit leer: Ich kann nicht selbst über die Verwendung meiner persönlichen Daten bestimmen.

Das stimmt. Das Gericht hat mit diesem großen Satz mehr versprochen, als irgendjemand halten kann. Technik und Wirtschaft haben das Urteil überholt. Damit können wir leben – wir müssen nur unterscheiden, wann die Datenverwendung für den Einzelnen harmlos ist und wann nicht. Und das können wir rechtsstaatlich in den Griff bekommen.

INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN