: Mit Haube und Kittel an der Theke
Fachleute kritisieren Hygienestandards in neuen Schulkantinen: Mehr Unterstützung durch Bildungsbehörde gefordert
von Christine Jähn
In Windeseile verputzt Pierre Ziemer gefüllte Teigrollen. „Schmeckt lecker“, verkündet der Fünftklässler, „das tut es hier immer.“ Judith Neuhaus, Hauswirtschaftsmeisterin der Brechtschule, verteilt derweil weitere warme Mahlzeiten aus der gläsernen Theke. Dahinter beginnt die Küche, in der Hauben- und Kittelpflicht herrscht. „Das sieht die EU-Lebensmittelhygiene-Verordnung vor“, weiß Neuhaus.
In anderen Schulen „ist die Situation hygienisch nicht zufriedenstellend“, sagt die Ökotrophologin Ulrike Arens-Azevedo. Nur durch strikte Hygiene jedoch könnten die Ausgabe verdorbener Speisen, Infektionen oder gar Vergiftungen verhindert werden.
Das betrifft jedes der rund 60 Gymnasien, die im Herbst 2004 eine Essensversorgung eingerichtet haben – im Schnellverfahren und mit Mitteln von der Bildungsbehörde. Damals war die Gymnasialzeit kurzfristig verkürzt und der Nachmittagsunterricht verstärkt worden. Viele der Schulen haben Arens-Azevedo um Hilfe gebeten. Als Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat die Vizepräsidentin der Hochschule für angewandte Wissenschaften (HAW) an bundesweiten Kampagnen für eine gesunde Kinderernährung mitgewirkt.
Lediglich fünf Gymnasien haben noch keine Kantine und behelfen sich vorerst provisorisch. Andere Schulformen mit Nachmittagsunterricht warten noch auf Finanzmittel. Auf einer Informationsveranstaltung vergangene Woche, zu der sich mehr als 100 Schul- und Elternvertreter in der HAW trafen, zeigte sich die Unkenntnis über Hygienemaßgaben. „Ich höre heute zum ersten Mal davon“, sagte eine Teilnehmerin. Viele Gymnasien, das zeigte sich an jenem Nachmittag, fühlen sich von Politik und Behörde allein gelassen – nicht nur bei der Hygiene, sondern auch bei den laufenden Kosten und in Fragen der Umsetzung.
„Jede Schule muss für sich das Rad neu erfinden“, sagt Egon Tegge, Leiter des Luruper Goethe-Gymnasiums, das noch einige Monate mit vorläufigen Räumen auskommen muss. Er hat für seine Schule das nötige Wissen beschafft. Schulleitung, Eltern und Lehrer „sind es, die da irgendwie durchkommen müssen“, so Tegge.
„Wir statten die Schulen in der Regel mit Aufwärm- und Verteilerküchen aus“, sagt Thomas John von der Bildungsbehörde. Dort können warm gelieferte Speisen verteilt werden, gekühlte Kost aufbereitet und Snacks frisch zubereitet werden. „Wie die Schulen die Kantinen betreiben“, so John, „darin sind sie frei.“ Die Behörde habe umfangreiches Info-Material an die Schulen verteilt.
Arens-Azevedo indes sieht weiterhin dringenden Informationsbedarf: „In einem Stadtstaat sollte es besonders leicht möglich sein, dass die Leute gebrieft werden.“ Sie wünscht sich „eine Hotline der Behörde“.
Wenn Eltern die Essensausgabe erledigten, müssten sie zuvor erfahren, wie sie sich zu verhalten haben, referiert Holger Pfefferle von der DGE aus der Hygieneverordnung: „Nagellack ist verboten, Ringe müssen abgenommen, die Hände immer wieder gewaschen und der Arbeitsbereich gereinigt werden.“ Nach seiner Erfahrung ist es schwierig, Eltern derlei abzuverlangen. Auch Arens-Azevedo wirbt für Profis an der Kantinentheke.
Mit dem entstehenden Aufwand müssen die Schulen umgehen: „Von den Personalkosten werden nur die Reinigungskosten übernommen“, sagt Behördensprecher John. Sonstige Ausgaben „müssen auf die Essenspreise umgelegt werden“. Für Schulleiter Tegge „eine Milchmädchenrechnung“: Ein Essen koste am Goethe-Gymnasium drei Euro: „in unserem Stadtteil viel Geld“.
Die private Brecht-Schule an der Norderstraße hat Hygieneprobleme von Anfang an vermieden. Doch teilt sie das Schicksal anderer Gymnasien: Kaum in Betrieb, stoßen ihre Kantinen bereits an Grenzen und müssen ausgebaut werden. Im Ossietzky-Gymnasium in Hummelsbüttel etwa essen die Kinder in Etappen, in der Brechtschule haben sie gerade mal 20 Minuten Zeit.
„Lösbare Probleme“, urteilt Holger Harms vom Hamburger Lehrerverband über die Schwierigkeiten der jungen Kantinenlandschaft, „nur im Augenblick sehr unübersichtlich.“