: Kein Geld für Öl
AUS GENF ANDREAS ZUMACH
Bis zu zwei Drittel der seit Mitte des letzten Jahrhunderts im Staatsbesitz befindlichen Ölvorkommen des Irak sollen für bis zu 40 Jahre de facto privatisiert und von ausländischen, überwiegend amerikanischen und britischen Ölkonzernen kontrolliert und ausgebeutet werden. Über entsprechend langfristige Verträge – so genannte Produktionsteilungsabkommen (Production Sharing Agreements, PSA) – verhandeln Konzerne wie BP und ChevronTexaco derzeit mit aktiver Unterstützung der Regierungen in Washington und London und zugleich unter großer Geheimhaltung vor dem irakischen Parlament und der Öffentlichkeit mit Vertretern des Ölministeriums in Bagdad.
Die Politik dieses Ministeriums wird seit Beginn des Irakkriegs im Frühjahr 2.003 im Wesentlichen von der amerikanischen Besatzungsmacht und dem US-Konzern Halliburton bestimmt. Kämen die Verträge zur Privatisierung von Kontrolle und Ausbeutung der Ölfelder zustande, entstünden der irakischen Volkswirtschaft Verluste von bis zu 194 Milliarden US-Dollar. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Dienstag in London und New York veröffentlichte Studie unter dem Titel „Crude Designs: Der Ausverkauf des irakischen Ölreichtums“. Die Studie wird gemeinsam herausgegeben von den drei britischen Organisationen Platform, der New Economics Foundation und War on Want.
Mit rund 112 Milliarden Fass Öl (ein Fass sind 159 Liter) in 80 bekannten Ölfeldern verfügt Irak nach Saudi-Arabien über die weltweit zweitgrößten Ölreserven. Unter den von den Konzernen angestrebten PSAs würden die irakischen Ölfelder zwar rechtlich im Besitz des Staates bleiben. Damit wäre zwar auf dem Papier der Bestimmung der irakischen Verfassung Genüge getan, die eine Privatisierung der Ölfelder untersagt. Doch die Nutzungsrechte würden privatisiert: 63 der 80 Ölfelder, in denen mindestens 64 Prozent der irakischen Gesamtreserven liegen, würden vollständig der Kontrolle und Ausbeutung durch ausländische Konzerne überlassen. Der irakischen Regierung bliebe lediglich die Kontrolle über jene 17 Ölfelder, in denen bislang bereits Öl gefördert wird. Die PSAs würden den Konzernen gewaltige Gewinne garantieren mit Renditen zwischen 42 und 162 Prozent jährlich; weit über der in der Ölindustrie üblichen Mindestrendite von zwölf Prozent.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die voraussichtlichen Verluste für den Irak während der Laufzeit der neuen Verträge bereits bei einem durchschnittlichen Weltmarktpreis für das Fass Öl von 40 US-Dollar (inzwischen liegt der Preis stabil bei über 60 Dollar) zwischen 74 Milliarden und 194 Milliarden US-Dollar liegen werden, wenn die Ölförderung nicht in öffentlicher Hand bleibt. Die Laufzeiten von PSAs betragen 25–40 Jahre. Sie unterliegen normalerweise Geheimhaltungsklauseln und hindern Regierungen daran, die Vertragsbedingungen im Nachhinein zu ändern. Die Verhandlungen mit den Ölkonzernen laufen schon, noch bevor Mitte Dezember im Irak Parlamentswahlen stattfinden und ein neues Ölgesetz verabschiedet werden kann. Die Autoren und Herausgeber der Studie „Crude Designs“ fordern eine offene und umfassende Debatte im Irak darüber, wie die Ölreserven ausgebeutet werden sollen. Auf keinen Fall sollten Verträge geschlossen werden, die geheim ausgehandelt werden und für bis zu 40 Jahre gültig bleiben.
Laut James Paul, Direktor des Global Policy Forum in New York, zeigt die Studie, wie die ausländischen Konzerne versuchen, Kontrolle über die irakischen Ölfelder zu erlangen und nun unter der Besatzung ihrem Ziel zum Greifen nahe gekommen sind. Es bestehe die große Gefahr, dass nach den Wahlen im Dezember die PSAs mit den Ölkonzernen im Schnellverfahren und ohne jede demokratische Kontrolle unterzeichnet werden.