: Langsam eingehen und dauern
Das 1956 erschienene zweibändige Standardwerk „Daten deutscher Dichtung“ fehlt in keiner germanistischen Studienbibliothek. Doch seine Verfasser, das Ehepaar Elisabeth und Herbert Alfred Frenzel, waren glühende Nazis und wirken bis heute auch mit anderen germanistischen Studienhandbüchern
VON TOM WOLF
Das zweibändige Standardwerk „Daten deutscher Dichtung“, erschienen im Stuttgarter Kröner-Verlag, fehlt in keiner germanistischen Studienbibliothek. Seit 1956 informiert es über den Kanon deutscher Hochliteratur. Auf dem Umschlag wird nicht mit Eigenlob gegeizt: „Eine Bilanz der deutschen Literaturentwicklung könnte man das vorliegende Buch nennen, das zu den überzeugendsten Versuchen gehört, allen denjenigen übersichtlich geordnete Informationen anzubieten, die sie im Beruf, beim Studium oder aus Interesse an literarischen Fragen suchen. […] Mit philologischer Akribie schufen die Verfasser ein vortreffliches Nachschlagewerk, das im Aufbau dem Wachstum der Literatur in der Zeitfolge nachgeht.“
Nun hat es mit dem Autorenehepaar Elisabeth und Herbert Alfred Frenzel eine Bewandtnis, die man kennen sollte, bevor man literarisches Faktenwissen von ihm bezieht. Dieter Kühn stützte sich unlängst in einem Buch über den Nachbau von Schillers Schreibtisch in der Tischlerei des KZ Buchenwald auf Elisabeth Frenzels „Stoffe der Weltliteratur“, ein weiteres von mehreren Frenzel-Kompendien. Er zitiert sie in einer marginalen literaturhistorischen Frage. Hätte er gewusst, womit die inzwischen hochbetagte Dame ihre wissenschaftliche Karriere begann, wäre eine Berufung auf ihr Wissen wohl unterblieben.
Elisabeth Frenzel, geboren 1915, promovierte 1940 mit einer Arbeit über „Die Gestalt des Juden auf der deutschen Bühne“. 1942 erschien sie in Buchform beim Deutschen Volksverlag in München unter dem Titel: „Judengestalten auf der deutschen Bühne. Ein notwendiger Querschnitt durch 700 Jahre Rollengeschichte“. Anders als viele Jungakademiker der Zeit, die gezwungenermaßen völkische Floskeln in die Vorworte ihrer sonst unpolitischen Bücher aufnahmen, wurde Frenzels Interesse an der Judenfrage Anstoß für perfide „notwendige“ pseudowissenschaftliche Auslassungen. In der Einleitung heißt es: „Übergeordneter Gesichtspunkt mußte der politische sein. Es sollte gezeigt werden, daß die Stellung, die das neue Deutschland heute zur Judenfrage wie zum Theater einnimmt, nicht an die politische Tagesnotwendigkeit gebunden, sondern in Deutschland von Ursprung an vorhanden gewesen ist. […] Da das Thema dieser Arbeit immer nur vor dem Hintergrund großer politischer Zusammenhänge erscheinen soll, war es notwendig, am Anfang jedes Kapitels die Situation der Judenfrage kurz zu skizzieren und daran anschließend die kulturpolitische Lage und den Anteil des Juden an ihr anzugeben. Es war nötig, auf das immer enger werdende Netz jüdischen Einflusses hinzuweisen, der die Darstellung des Juden auf der Bühne beeinflußte. Begriffe, die aus der Rassenlehre entnommen sind, fußen auf den von Günther gegebenen Richtlinien.“
Es ist ein böses Buch. Die Autorin macht aus ihrer „völkischen Sehweise“, ihrer glühenden Affinität zum „neuen Deutschland“ keinen Hehl. Sie nimmt ihren gewählten Forschungsgegenstand zum Anlass, den Siegeszug des Antisemitismus zu feiern. Indem sie sich an den Lehrmeinungen des Jenenser Professors für Rassekunde, Hans Friedrich Karl Günther („Rassekunde des deutschen Volkes“, 1922–1943), orientiert, gibt sie jede Form von Objektivität preis. Im Text macht sie die Juden verantwortlich für das Überhandnehmen von undeutschem Rationalismus und rassefremder Intellektualität. Die „Judenfrage“ wird ihrer Ansicht nach mit dem Verschwinden des Juden von der Bühne und aus dem normalen Leben schlüssig und endgültig beantwortet.
Elisabeth Frenzel hat für diese Schrift einen Doktortitel bekommen und führte ihn fortan. Ihre noch heute verwendeten und verbreiteten literaturpädagogischen Bücher beziehen ihre Reputation von diesem naziakademischen Grad. Ihre Dissertation ist in der Staatsbibliothek Berlin neben ihren späteren, sich kosmopolitisch gebenden Werken ausleihbar. In der Danksagung ihrer Doktorarbeit heißt es: „Danken möchte ich vor allem Herrn Reichsdramaturg Dr. Rainer Schlösser, der die Anregung zu dieser Arbeit gab. […] Ferner bin ich Herrn Prof. Dr. Petersen für seine freundliche wissenschaftliche Leitung zu Dank verpflichtet, […] schließlich meinem Mann Herbert A. Frenzel für die Erweiterung meines wissenschaftlichen Interesses durch Hinweis auf die aktuellen kulturpolitischen Fragen.“
Herbert Alfred Frenzel, geboren 1905 und 1995 verstorben, hat sich nicht nur als „kulturpolitischer“ Mentor seiner jungen Gattin hervorgetan – er stellte 1942 für Besatzungszwecke ein deutsch-norwegisches Wörterbuch zusammen, hatte 1938 bereits in der Reihe „Künder und Kämpfer“ Eberhard Wolfgang Möller, Träger des „Nationalen Buchpreises“ von 1935 und Referent im Reichspropagandaministerium, porträtiert, 1937 die „Geschichte des italienischen Nationalismus“ erforscht und 1935 dem „neuen Deutschland“ in exemplarischen Sammlungen gezeigt, wie deutscher Humor auszusehen hat.
In „Flaggt Freude und Frohsinn“ (Junge-Generation-Verlag, Berlin, 1935) schrieb er: „Rechter deutscher Humor drängt sich nicht naseweis auf. Langsam eingehen will er und dauern […], er verspinnt sich in Eulenspiegeleien und scheut sich nicht vor einem derben Wort, das Volkes Wort ist. Aber am liebsten sitzt ihm doch der Schalk im Nacken.“ Zu den Autoren der Sammlung gehörte neben Fritz Müller-Partenkirchen auch ein Mitglied des berüchtigten „Bamberger Dichterkreises“, einer mit Ausnahme von Stefan Andres durchweg altfränkischen NS-Dichtertruppe: Heinz Steguweit, einem von 31 Landes- oder Gauleitern der Reichsschrifttumskammer.
Herbert A. Frenzel und seine Ehefrau Elisabeth waren bis Kriegsende im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda für Joseph Goebbels tätig. Er war Regierungsrat und Schriftleiter (Chef vom Dienst: Kulturpolitik) beim Angriff; sie war wissenschaftliche Angestellte des Amtes für Kunstpflege in der Reichsleitung Rosenberg. Nach dem Krieg schafften sie es, ohne Aufsehen, dank ihrer NS-Doktorgrade Schlüsselpositionen in der Ausbildung neuer deutscher GeranistInnen einzunehmen. Herbert Alfred Frenzel wurde 1945 Schriftleiter der Gesellschaft für Theatergeschichte in Berlin. Die Nachkriegswerke der Frenzels verzichten auf die offene politische Einlassung. Mitunter jedoch zeigen die Verlautbarungen der Eheleute, welch Geistes Kinder sie sind.
In dem 1987 von ihnen gemeinsam herausgegebenen „immerwährenden Literaturkalender“ (Artemis Verlag) liest man: „Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. / Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – / Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. […] Jochen Klepper – Tagebucheintragungen, ehe er mit seiner jüdischen Frau und deren Tochter freiwillig aus dem Leben schied.“ Was mögen die Frenzels sich wohl dabei gedacht haben, die „jüdische Frau und deren Tochter“ expressis verbis hier zu brandmarken?