: „Bin Laden ist ein sehr eleganter Autor“
Der US-Professor Bruce Lawrence hat ein Buch mit Texten von Ussama Bin Laden herausgegeben. Bin Laden spricht, als würde er im 7. Jahrhundert leben. Und sein Aufstieg wäre ohne globales TV nicht möglich gewesen
taz: Mister Lawrence, warum haben Sie ein Buch mit Texten von Ussama Bin Laden herausgegeben?
Bruce Lawrence: Ich kannte die wenigen kurzen Stellen, die aus Bin Ladens Botschaften zitiert werden und habe gedacht: Wo ist der Kontext? Wie passen diese Passagen in sein Weltbild? Ich habe viele Leute gefragt, aber die sagten mir: Seine Botschaften sind öffentlich nicht zugänglich. Dann hat mich im März der Verso Verlag angesprochen, ob ich ein Buch mit Texten von Bin Laden zusammenstellen und die Einleitung und die Fußnoten dazu schreiben will.
War es schwierig, an die Texte heranzukommen?
Es gab zwei Arten von Problemen. Zum einen war es schwer, die vollständigen Texte zu finden. Die meisten der 24 Botschaften in dem Buch hat der arabische Fernsehsender al-Dschasira ausgestrahlt – aber sie stimmen nicht immer mit denen auf der Kassette überein, die al-Qaida ursprünglich dem Sender gegeben hatte. Ein anderes Problem war, die Texte zu bekommen, die auf islamistischen Internet-Seiten veröffentlicht worden sind. Die wurden ja alle geschlossen. Deshalb mussten wir Leute finden, die die Reden kopiert hatten, bevor die Seiten geschlossen wurden.
Was fehlte denn in den gesendeten Fassungen von al-Dschasira?
Es fehlten vor allem Teile, die sich auf das saudische und das Königshaus von Katar beziehen. Katar spielt für Bin Laden eine Art Doppelrolle. Das katarische Königshaus gehört wie das saudische, das Bin Laden immer hart angreift, zur wahhabitischen islamischen Schule. Bin Laden greift das katarische Königshaus nicht so häufig an wie das saudische. Aber er sagt, jeder, der mit den Amerikanern gegen Muslime zusammenarbeitet, ist kein richtiger Muslim und muss bekämpft werden. Andererseits wird al-Dschasira ja aus Katar gesendet – und al-Dschasira und damit auch Katar spielen eine extrem wichtige Rolle für den Aufstieg von Bin Laden. Denn vor der Gründung von al-Dschasira 1996 gab es im arabischen Raum ja nur staatlich kontrollierte Sender, die seine Botschaften kaum gesendet hätten.
Ussama Bin Laden verfügt in der muslimischen Welt über eine gewisse Attraktivität. Warum?
Zum einen ist da sein Image als spartanische Persönlichkeit, jemand, der fast ärmlich angezogen ist und sehr bescheiden auftritt. Auf der anderen Seite ist natürlich wichtig, dass er seit 1980 Teil der Mudschaheddin in Afghanistan war, also nicht nur geredet, sondern auch gehandelt hat. Ich denke, attraktiv ist die Mischung aus dem entschlossenen Kämpfer für die Ideale des Islam und dem Bild, in dem er als bescheiden und ärmlich erscheint.
Sind Bin Ladens Texte in Arabisch leicht zu bekommen? Und werden sie in der arabischen Welt viel gelesen?
Das ist eine gute Frage, die ich nicht beantworten kann, weil es dazu keine Untersuchung gibt. Die einzige existierende Umfrage stammt von dem US-amerikanischen Pew Institutes – demnach sagen viele in der arabischen Welt, dass sie zwar nicht mit Bin Ladens Ansichten übereinstimmen, ihm aber mehr trauen als anderen Politikern. Auf die Frage, woher sie Bin Ladens Ansichten kennen, antworten viele: Wir haben seine Reden auf Kassetten gehört. Daher wissen wir, dass noch immer Kassetten mit seinen Botschaften in der muslimischen Welt im Umlauf sind.
Bin Laden wird also vor allem als Redner wahrgenommen. Ist er denn ein guter Redner?
Ja. Er ist überzeugend, weil er gut reden kann. Wichtig ist natürlich, dass er auch gehört wird, dass sein Bild wegen der Revolutionierung der Medien auf dem ganzen Globus bekannt ist. Es ist ja kein Zufall, dass Bin Laden erst Ende des 20., Anfang des 21. zum weltbekannten Medienstar wurde, als die Zeitungen ihre Bedeutung verloren haben und Fernsehen und Internet zu den dominierenden Medien wurden.
Wodurch zeichnet sich Bin Ladens Sprache aus?
Sie ist völlig überraschend. Wenn man nur einzelne Zitate von ihm kennt, hält man ihn für einen scharfkantiger Ideologen des Terrorismus und des Extremismus. Das ist er auch, aber in seinen Botschaften stellte er seine Weltsicht so dar, als sei sie eine Reaktion auf die Politik des Westens. Er räumt ein, dass er ein Terrorist ist, aber seine Terrorakte, sagt er, sind nur eine Antwort auf den Terror der Amerikaner und Europäer. Sie haben die muslimische Welt angegriffen. Sie bezeichnet er als das Bündnis der Kreuzzügler und Zionisten, als Zionist Crusader Alliance. Das ist ein sehr eigenartiger Begriff, den es erst seit sehr kurzem im Arabischen gibt.
Sie haben gesagt, dass Bin Laden einer der elegantesten Autoren arabischer Prosa ist …
Nicht ich habe das gesagt, sondern der angesehene Islam-Experte Bernard Lewis. Damit hat er Recht. Wenn sie zum ersten Mal die Prosa von Ussama Bin Laden lesen oder ihn sprechen hören, werden Sie erstaunt sein, wie gut er seine Gedanken formuliert. Er benutzt keinerlei Umgangssprache, keinerlei Neologismen. Er spricht so, als sei er jemand, der im 7. Jahrhundert lebt und den Propheten Mohammed verehrt.
Aber er hat doch keine Ausbildung als religiöser Gelehrter?
Nein, überhaupt nicht. In religiösen Dingen ist er Autodidakt.
Welche Erziehung hat er denn genossen?
Er hat an der Universität in der saudi-arabischen Hafenstadt Dschidda Kurse in Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften und auch einige religiöse Kurse belegt. Er selbst sagt, dass sein Schlüsselerlebnis 1973 war, als die israelische Armee im Jom-Kippur-Krieg schon besiegt war, amerikanische Hilfe ihr jedoch erlaubt hat, die Niederlage abzuwenden und den Krieg noch zu gewinnen. Ich denke, es ist auch unumstritten, dass Mohammed Qutb großen Einfluss auf Bin Laden hatte. Der Palästinenser Qutb war der jüngere Bruder des Gründers der ägyptischen Muslimbrüder und hat in Kairo studiert. Hätte Bin Laden ihn nicht kennen gelernt, hätte er nicht seine Ideen über einen antiimperialistischen Kampf entwickelt, der allein auf früher islamischer Geschichte und dem Koran fußt.
Wie war denn die Reaktion der US-Medien auf Ihr Buch?
Einige Leute im rechten politischen Spektrum haben sich gefragt, wie ein respektabler Verlag ein solches Buch veröffentlichen kann. In der San Diego Union-Tribune hat ein Journalist geschrieben, das sei, als ob man Hassliteratur wie Hitlers „Mein Kampf“ veröffentliche. Ein anderer im American Conservative Magazine hat nahe gelegt, dass Bin Laden ein Krimineller ist und deshalb niemand seine Text veröffentlichen sollte. Aber es gab auch positive Reaktionen – eher von Liberalen, die sagten, es sei höchste Zeit gewesen, ein solches Buch herauszubringen.
Haben Sie auch hasserfüllte Briefe oder Todesdrohungen bekommen?
Nein, bis jetzt noch nicht. Aber ich bin sicher, dass ich solche Briefe bekommen werde. Ich hoffe jedoch, dass sich viele Leute die Mühe machen zu lesen, was ich an anderer Stelle geschrieben habe. Ich bin so patriotisch wie Exaußenminister Colin Powell, und wie er war ich in der Armee. Ich habe für amerikanische Werte gekämpft. Wenn ich Todesdrohungen bekäme, wäre das ironisch und auch sehr traurig.
INTERVIEW: PETER BÖHM