: In der braunen Geisterbahn
Im Prozess gegen den lernresistenten Holocaust-Leugner Ernst Zündel tritt das Dritte Reich zu seinem vorerst letzten Gefecht an. Die rechtsextremistischen Advokaten des Angeklagten wollen den dritten großen Auschwitzprozess führen. Fast noch widerlicher allerdings ist das gesinnungsfeste Publikum
AUS MANNHEIMKLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Der Alte mit den schlohweißen Haaren und der Trachtenweste mit der Deutschen Mark als Button am Kragen kommt in der Verhandlungspause direkt auf mich zu und quatscht mich an: „Kamerad! Was sagst du zu diesem besatzerhörigen jüdischen Gericht?“ Kamerad? Mir wird schlecht. „Kamerad!“, sage ich dann mit ganz harter Stimme. „Kamerad!“, sag ich also. „Ich find das echt klasse, dass sie euch heute mal wieder rausgelassen haben – aus den geschlossenen Abteilungen deutscher Psychiatrien.“ Der Frontkämpfer ist mit den letzten noch lebenden Kameraden aus einem ebenfalls geschlossenen Verband der Waffen-SS zum Auftakt des Prozesses gegen den in jeder Beziehung lernresistenten Hitlerverehrer und Holocaustleugner Ernst Zündel (66) von Worms aus nach Mannheim gereist. Er verdaut den verbalen Gegenschlag des vermeintlichen Gesinnungsgenossen nur schwer. Und ganz langsam noch dazu. Dann bellt er plötzlich erregt zurück: „Geh mal zum Frisör!“ Ich tippe mir an die Stirn. In der Bankreihe hinter mir träumt derweil einer der anderen alten bekennenden Nationalsozialisten, die „nichts zu bereuen“ haben, laut davon, im Gerichtssaal ein MG aufzubauen. „Und dann rattatat! Und weg mit dem jüdischen Geschmeiß auf der Richterbank.“
Man ist (fast) unter sich, auch am gestrigen zweiten Verhandlungstag. Regional bekannte Neonazis haben sich herausgeputzt. Ein ehemaliger Skinheadführer mit Stiernacken trägt schwarzes Jackett mit weißem Einstecktuch. Das passt wie Arsch auf Eimer. Und die Bodyguards des mit einem Berufsverbot belegten braunen Staradvokaten Horst Mahler, der von der rechten Pflichtverteidigerin Sylvia Stolz als „Assistent“ in das Verfahren hineingedrückt werden sollte, treten in modischen Schurwollhosen und schwarzen Rollkragenpullis aus Kaschmir auf, braun gebrannt und frisch geföhnt. Alte Freunde umarmen sich kurz. Alte Bekannte werden mit angewinkeltem Arm und flacher Hand gegrüßt. Selbst eine Hand voll junger Neonazis in Kampfmontur hat zur Feier des Tages die schweren Stiefel mit den weißen Schnürsenkeln zum Glänzen gebracht. Ein paar verhärmt aussehende späte Kriegerwitwen in gestärkten weißen Blusen und altmodischen braunen Kostümen echauffieren sich bei Prozessunterbrechungen immer wieder darüber, dass dem „deutschen Volke“ auch in diesem Verfahren wieder Verbrechen zur Last gelegt würden, die es „niemals begangen“ habe. Sie fordern die Einberufung einer „neutralen Historikerkommission ohne Juden und ohne Deutsche“. Dann erst werde „die Wahrheit“ ans Licht kommen.
Ihre Wahrheit kennen sie schon: Nicht ein einziger Jude sei von Deutschen vergast worden, behauptet eine der alten Schachteln steif und fest; und so laut, dass es die auf der Pressebank hören können – und sollen. Die anderen nicken dazu wie einst die Dackel auf den Hutablagen der Autos ihrer verstorbenen Männer. Dann geht es im Privatgespräch untereinander wieder um andere, auch wichtige Themen. Um die offene Wunde am diabetischen Fuß etwa. Und dass da nur eine Salbe mit Kortison helfen könne, wie ein älterer Herr klug anmerkt. Der hatte einer anderen alten Frau zuvor erklärt, dass alleine die „Bösartigkeit der bundesdeutschen Richter“ seit Jahren ein faires „Aufklärungsverfahren“ um die tatsächlichen Vorgänge in den Konzentrationslagern verhindere: „Alles Judenbengel!“
Man soll Respekt vor dem Alter haben und seinen Mitmenschen nichts wirklich Böses wünschen. Aber diesen unheilbaren kriminellen Altfällen gönnt man doch das rasche und erlösende Ende.
Die Verteidigerbank macht dem Auditorium alle Ehre. Nach der Verbannung von Mahler in den Zuschauerbereich durch Beschluss der Kammer nach deren Feststellung, dass das 2004 vom Amtsgericht Tiergarten (Berlin) gegen den rechtsextremistischen Agitator erlassene Berufsverbot weiter Bestand habe, führt jetzt der rechtsextremistische, mehrfach einschlägig vorbestrafte Rechtsanwalt Jürgen Rieger das große Wort. Der wollte auf seinem Landgut in Schweden von arischen Männern und Frauen reinrassigen germanischen Nachwuchs „produzieren“ lassen. Das klappte nicht so ganz. Vor allem mangelte es an blonden und blauäugigen Frauen mit der entsprechenden Gesinnung. Im Dezember 2003 brannte dann ein Teil seines Anwesens dort, das zu einem Treffpunkt skandinavischer und deutscher Neonazis avanciert war, schlicht und ergreifend ab. Rieger gehören auch in Deutschland zahlreiche Immobilien. Journalisten und Richter kann er übrigens überhaupt nicht leiden. Da kommt ihm die Galle hoch. Mit deren Liquidierung, sagte er einmal in einem Fernsehinterview, werde die bevorstehende „germanische Revolution“ denn auch beginnen: „So warten Sie es doch ab, wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist.“ Und bei einer Demonstration gegen die Wehrmachtausstellung in Hamburg merkte der bärtige 58 Jahre alte Herausgeber der Nordischen Zeitung öffentlich an, dass man die Ausstellung noch in den 50er-Jahren „kurz und klein geschlagen“ hätte, „und Reemtsma wäre am nächsten Baum aufgehängt worden“.
Das darf man sagen in Deutschland. Gegen Rieger jedenfalls wurde noch von keinem Gericht ein Berufsverbot ausgesprochen. Und die gegen den mutmaßlichen Millionär verhängten Geldstrafen wegen Volksverhetzung oder Parteienverrat – als Anwalt – waren lächerlich gering. Die Kammer entzog ihm schon am Ende des ersten Verhandlungstages dennoch das Mandat für die Pflichtverteidigung – alleine schon wegen der Vorstrafen. Rieger merkte dazu militärisch knapp an, dass es wohl noch nicht einmal ein Gericht in einem „sowjetischen Gulag“ gewagt hätte, die Arbeit der Verteidigung derart massiv zu behindern „wie dieser Richter hier in Deutschland“. Beifall auf den Rängen. Der Vorsitzende Richter, Ulrich Meinerzhagen, droht – halbherzig – mit Saalräumung.
Dabei hat Meinerzhagen durchaus erkannt, worum es den braunen Advokaten in Mannheim tatsächlich geht: „Um die Inszenierung des dritten großen Auschwitzprozesses“ – nach den Kriegsverbrecherprozessen gleich nach 1945 in Nürnberg und dem großen Auschwitzverfahren in Frankfurt am Main vor jetzt 50 Jahren. Diesmal aber soll es umgekehrt laufen und das deutsche Volk rehabilitiert werden. Schon in einem anderen Verfahren stellte Rieger als Verteidiger zahllose Beweisanträge und verlangte die Ladung von rund 500 Zeugen. Unter anderem sollte ein Diplomchemiker vernommen werden, der beweisen werde, „dass unter dem Naziregime im Zweiten Weltkrieg keine Vergasungen von Menschen mit Zyklon B stattgefunden haben“. Die inzwischen vom Gericht gleichfalls von der Pflichtverteidigung entbundene Advokatin Sylvia Stolz hatte in einem noch vor Prozessbeginn eingereichten Schriftsatz zu einem Antrag auf Verfahrensaussetzung „bis zur wissenschaftlichen Klärung der Vorgänge um den so genannten Holocaust“ die Vorarbeit geleistet und ganze Passagen aus den Hetzschriften von Mahler argumentativ übernommen. Dafür wurde auch ihr die Pflichtverteidigung entzogen. Minutenlang verlas der Vorsitzende Richter dann die bizarren Thesen von Mahler zum Holocaust, die Stolz in Kopie zu Papier gebracht hatte. Und er zitierte aus Gerichtsprotokollen der diversen Verfahren gegen den „verurteilten Volksverhetzer“ Mahler. Von der „Auschwitzkeule“ ist da unter anderem die Rede, die gegen das deutsche Volk geschwungen werde; verbunden mit einem „herzlichen Dankeschön!“ an die Adresse des Schriftstellers Martin Walser. Und dass das deutsche Volk seinem „Führer Adolf Hitler“ längst auch den Völkermord an den Juden verziehen hätte, „wenn es ihn denn je gegeben hätte“. Doch wie ein Phönix aus der Asche werde sich jetzt der Geist der Germanen erheben, um den „Judaismus“ endlich zu begraben.
Nur ganz wenige Zuhörer fassen sich danach an den Kopf. Ein Kollege ruft laut nach einem „Irrenarzt“. Folgenlos. Die anderen von der braunen Geisterbahn feiern ihren „Helden“ Mahler. Der Vorsitzende Richter droht erneut mit Saalräumung – ebenfalls folgenlos.
Gestern ging das Verfahren in die zweite und – vorerst – letzte Runde (siehe Kasten). Die Stimmung war prächtig. Trotz der „Judengesetze“, denen sich die Deutschen zu unterwerfen hätte, wie mich einer von den Wahnsinnigen, die alles todernst meinen und vor dem Gerichtsgebäude auch noch ungestört volksverhetzende Flugblätter verteilen durften, ungefragt aufklärt. Das war noch draußen vor den Einlasskontrollen. Ich hätte ihm in die Eier treten müssen. Ich hab es leider nicht getan.