: Offener Aufmarsch der kirgisischen Unterwelt
Nach dem Mord an einem Abgeordneten demonstrieren schon seit Tagen Kriminelle vor dem Parlament in Bischkek und fordern den Rücktritt des Regierungschefs. Die Sicherheitskräfte bleiben untätig und der Präsident hält sich bedeckt
BISCHKEK taz ■ Der stellvertretende US-Botschafter in Kirgisien, Don Lu, zeigt sich über die öffentliche Zuschaustellung des organisierten Verbrechens in dem zentralasiatischen Staat besorgt. „Wir sind beunruhigt, dass eine kriminelle Autorität ungehindert Druck auf das kirgisische Parlament ausübt“, sagt Lu am Mittwoch während des Treffens der Geberstaaten mit dem kirgisischen Präsidenten Kurmanbek Bakijew in Bischkek.
Seit fünf Tagen demonstriert unter der Führung von Rizpek Akmatbajew die kirgisische Unterwelt vor dem Parlament in Bischkek und fordert den Rücktritt des Premierministers Felix Kulow. Der Kirgise, der auf Nachfrage nichts gegen die Bezeichnung „kriminelle Autorität“ einzuwenden hat, ist der Bruder des ermordeten Abgeordneten Tinitschbek Akmatbajew. Der Parlamentarier war während einer Visite in einem Gefangenlager unweit der kirgisischen Hauptstadt am Donnerstagabend von Inhaftierten angegriffen und erschossen worden. Zudem wurden zwei seiner Begleiter getötet und der Chef des kirgisischen Strafvollzugs schwer verletzt.
In dem Lager sitzt das Oberhaupt der tschetschenischen Mafia in Kirgisien, Aziz Batukajew, ein, das sich seit Jahren mit Rizpek Akmatbajew eine Bandenfehde liefert. Dabei wurde 2002 der Bruder des Tschetschenen erschossen. Seit einer Woche befinden sich die Gefangenlager, deren Insassen der Autorität des Tschetschenen unterstehen, im Aufstand und werden nur von außen bewacht.
Nach der Bluttat war Kulow in das Gefängnis geeilt und hatte nach dem Treffen mit Batukajew die Herausgabe des Mörders und der Leichen ausgehandelt. Einen Tag später hatte der Premierminister im Parlament erklärt, dass die Begleitung des getöteten Abgeordneten bewaffnet das Gefangenlager betreten habe und unklar sei, wer das Feuer eröffnet habe.
Rizpek Akmatbajew sieht aufgrund dieser Aussagen die Mitschuld Kulows als erwiesen an und hat am Samstag seine Anhänger zum Aufmarsch versammelt. In aller Eile organisierten die Demonstranten Jurten, Versorgungsküchen sowie transportable Aborte unter dem Lenindenkmal, um in dem kühlen Herbstwetter auf dem Parlamentsplatz ausharren zu können.
Sind bei anderen Manifestationen in Kirgisien üblicherweise viele Frauen unter den Demonstrierenden, stehen nun hauptsächlich Männer auf dem Platz: durchtrainierte Gestalten mit zernarbten Gesichtern, angetan mit Sonnenbrillen und funkelnden Golduhren. Eine Reihe neuster Mercedes- und BMW-Modelle parken vor dem Platz.
Die kirgisische Öffentlichkeit erkennt mit Entsetzen, dass die Unterwelt nach der politischen Macht strebt. Die Sicherheitskräfte lassen die ins Parlament hastenden Volksvertreter mit der versammelten ehrenwerten Gesellschaft allein. Mit Tinitschbek Akmatbajew ist seit dem Machtumsturz im Frühjahr 2005 der dritte kirgisische Parlamentarier erschossen wurden.
Der kirgisische Präsident Bakijew vermied es bisher, sich hinter seinen Premierminister zu stellen. Für Bakijew sind die Protestler lediglich trauernde Angehörige und er möchte zunächst weitere Untersuchungen abwarten. Er hat sich bereit erklärt, einige der Angehörigen sogar zu empfangen.
Seit dem Machtumsturz wird Kirgisien von dem Tandem aus Kulow, dem Mann des Nordens, und Bakijew, dem Politiker aus dem Süden, regiert, doch nur schwerlich gelingt es den beiden Politikern, ihre Spannungen zu überdecken. So beklagt Kulow öffentlich das Schweigen des Präsidenten.
Am kommenden Freitag muss sich Rizpek Akmatbajew vor einem Gericht in Bischkek wegen Mordes verantworten. Der Kirgise ist jedoch von einem Freispruch überzeugt, und mit jedem Tag, den der Aufmarsch anhält, steigt das Selbstbewusstsein Rizpek Akmatbajews. Er kokettiert bereits mit dem Gedanken, anstelle seines ermordeten Bruders für den frei gewordenen Parlamentssitz zu kandidieren. Journalisten, die unangenehme Fragen stellen, werden von breitschultrigen Männern bedroht oder per Lautsprecher gerügt.MARCUS BENSMANN